Flüchtlinge in der Landwirtschaft
Wenn aus Flucht Zuflucht wird
In BWagrar Heft 19/2017 berichten wir im Thema der Woche über die Erfahrungen von Landwirten mit Flüchtlingen als Mitarbeitern. Wer darüber nachdenkt, auch einen Geflüchteten einzustellen, dem sollen diese weiteren Informationen bei der Entscheidung helfen. Praktika zum Beispiel sind optimal, um sich zunächst besser kennen zu lernen.
Wie klappt der Schritt in die Arbeitswelt?
Es gibt verschiedene Wege, einem Flüchtling den Einstieg in die Arbeit auf einem landwirtschaftlichen Betrieb zu ermöglichen. Hier ein kurzer Überblick, was zu beachten ist:
Einstiegsqualifizierung (EQ): Die EQ ist ein Langzeitpraktikum für Ausbildungssuchende bis 35 Jahre, für das kein Mindestlohn erforderlich ist. Es dauert mindestens sechs und maximal zwölf Monate. Während des Praktikums sollen Grundkenntnisse eines anerkannten Ausbildungsberufs vermittelt verden. Ziel ist die Übernahme in eine Ausbildung. Ausbildungen werden von der Bundesagentur für Arbeit (BA) finanziell gefördert. Asylberechtige und Geduldete können sofort eine EQ erhalten, Asylbewerber nach drei Monaten Wartezeit.
Praktika: Praktika sind generell Beschäftigungsverhältnisse, die zur Vertiefung von Kenntnissen in einer künftigen Tätigkeit oder Ausbildung dienen. Vor Beginn eines Praktikums muss immer die Erlaubnis der Ausländerbehörde vorliegen. Für manche Praktika ist auch die Zustimmung der BA notwendig.
„Schnupperpraktikum": Vorsicht bei einem „Praktikum" zur Probe. Handelt es sich um eine Probebeschäftigung, um festzustellen, ob der Bewerber länger in dieser Tätigkeit beschäftigt werden kann, dient es nicht der Anbahnung einer Ausbildung. In diesem Fall handelt es sich um eine normale Beschäftigung innerhalb der Probezeit – sie ist somit auch mindestlohnpflichtig und muss von der Ausländerbehörde/BA genehmigt werden.
Berufsausbildung: Der direkte Einstieg in eine Berufsausbuildung ist einem Asylbewerber nach den ersten drei Aufenthaltsmonaten der BA erlaubt, anerkannte Flüchtlinge und Geduldete dürfen sofort eine Ausbildung starten. Bestimmte Geduldete können bis zum Ende der Ausbildung ein Bleiberecht bekommen, sollte ihre Duldung während der Ausbildung ablaufen. Eine Ausbildung erhöht also die Chancen auf eine Verlängerung des Aufenthalts.
Eingliederungszuschuss (EGZ): Wer einen Flüchtling einstellen will, der zum Beispiel wegen Sprachschwierigkeiten lernbeeinträchtigt ist, kann ein Arbeitsentgelt-Zuschuss zum Ausgleich von Minderleistung erhalten. Sowohl Asylberechtigte, und -bewerber als auch Geduldete können den Zuschuss erhalten. Die Förderhöhe und -dauer wird je nach Einzelfall festgelegt.
Diese Landwirtsfamilien haben sich getraut. Hier lesen Sie mehr über ihre Erfahrungen:
Landwirtschaft hat bei vielen Flüchtlingen hohen Stellenwert
Landwirtin Christine Sonntag, die mit ihrem Mann in Eberhardzell-Hetzisweiler 80 Milchkühe unterhält, erzählte noch mehr über ihre Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit dem geflüchteten Faisal. Der Pakistani konnte die Familie nicht nur wegen seinem Händchen für Tiere überzeugen, sondern er legte auch sehr gute Umgangsformen an den Tag. Grundsätzlich empfinden die Sonntags es als Bereicherung, durch einen Geflüchteten Vorurteile abzubauen und Fremdes kennen zu lernen. Auch die Essgewohnheit auf dem Hof hat sich etwas geändert, seit Faisal bei Familie Sonntag wohnt. Die Mahlzeiten seien nun abwechslungsreicher und es werden neue Gerichte ausprobiert.
Einen anderen Vorteil sieht die Landwirtin darin, dass in den Heimatländern vieler Flüchtlinge die Landwirtschaft einen sehr hohen Stellenwert hat. „Geflüchteten Menschen scheuen sich oft nicht vor harter, körperlicher Arbeit, denn viele sind es gewohnt, die meisten Arbeiten von Hand zu erledigen. Die jungen Leute werden, wie auch hier in der Landwirtschaft üblich, schon früh gefördert und arbeiten im Betrieb mit", sagt sie.
Um in der Arbeitswelt Fuß zu fassen, hat Faisal besonders die Kombination aus Sprachkurs, Berufsschule und der Arbeit geholfen. Weil alles parallel lief, konnte er seine Deutschkenntnisse schnell und kontinuierlich verbessern. Und er wird weiter mit den Kühen arbeiten. Der junge Mann hat für 2017 zwar einen Ausbildungsplatz in der Metallbranche gefunden, wird aber auf dem Hof der Sonntags weiter wohnen bleiben und mithelfen. Eine Ausbildung bei seinen Zieheltern war nicht möglich, da die Sonntags ihre Milchproduktion nur im Nebenerwerb betreiben.
Probieren geht über studieren
Der syrische Flüchtling Fadel Battel bekam über eine ehrenamtliche Flüchtlingshelferin vor einem Jahr Kontakt zu Matthias Hausser und Sonja Liedhegener, die seit 2008 im Fißlerhof/Tamm ihr Ponyzentrum betreiben. Knapp 50 Tiere versorgen sie auf circa zwei Hektar Anwesen.
Die Pferdeexperten suchten schon länger eine Teilzeit-Arbeitskraft und wollten sich zudem sozial engagieren. Immer wieder haben sich die Pferdeprofis in Fadels Situation versetzt und wollten es ganz bewusst mit einem Flüchtling probieren. Sie hatten bereits Erfahrung mit Arbeitsmaßnahmen für Suchterkrankte. „Die meisten hatten schnell keine Lust mehr auf die Arbeit und andere Praktikanten waren oft schlichtweg ungeeignet", erzählt Matthias Hausser. Fadel hingegen habe eine schnelle Auffassungsgabe. „Man muss ihm eine Aufgabe nicht zweimal erklären", lobt Hausser seinen Zögling.
Im Sommer 2017 hat der junge Flüchtling sein erstes Berufsschuljahr gemeistert. Nun sucht er einen Ausbildungsbetrieb. Bei seinen Chefs vom Fißlerhof, für die er mittlerweile auch wie ein Sohn geworden ist, könnte er zwar eine Ausbildung zum Pferdewirt machen. Er möchte aber lieber Landwirt werden.
Allerdings findet Fadel es schwierig, sich im Bewerbungsverfahren als Neueinsteiger gegen junge Menschen durchzusetzen, die landwirtschaftliche Vorerfahrungen mitbringen, weil sie auf einem Hof aufgewachsen sind. Sein Ziel ist aber, auf jeden Fall dran zu bleiben und seine Deutschkenntnisse zu perfektionieren. Ob er langfristig in Deutschland bleibt, wird die Zeit zeigen, sagt er. Sein Asylverfahren ist seit Anfang April abgeschlossen. Fadel ist nun anerkannter Asylberechtigter und darf uneingeschränkt einer Arbeit in Deutschland nachgehen. Ihm stehen also viele Wege offen.
Autor: Wiebke Schmid, Yvonne Zahumensky