LBV-Unternehmertag 2018
Die Welt wird digital - Landwirtschaft 4.0 zunehmend real
Der Brexit und die schwer kalkulierbare US-Politik verunsichern Wirtschaft und Gesellschaft. Hinzu kommt der digitale Wandel, der in rasender Geschwindigkeit die Märkte verändert. Welche Auswirkungen hat das für die Agrar- und Ernährungsbranche? Das wurde auf dem 6. LBV-Unternehmertag am Freitag, 23. Februar 2018, im Internationalen Congresscenter Stuttgart (ICS) lebhaft diskutiert.
Die Welt wird digital - Landwirtschaft 4.0 zunehmend real
Unter dem Titel „Landwirtschaft 4.0 – Wie die digitale Revolution Spielregeln ändert und Chancen schafft“ zeigten auf dem fest eingeführten und mit über 800 Teilnehmern erneut erstklassig besuchten Branchentreff des Landesbauernverbandes in Baden-Württemberg (LBV) drei Fachforen,
Forum I: wie die Digitalisierung die Landwirtschaft und das Agribusiness verändert,
Forum II: wie Praktiker mit digitaler Technik arbeiten
Forum III: welche Herausforderungen im Datenschutz sich dem „gläsernen Bürger und Betrieb“ stellen.
Aufrüttelnder Auftakt
Gleich zum Auftakt des 6. LBV-Unternehmertages zog Wirtschaftsprofessor Clemens Fuest die Zuhörer in seinen Bann. Vor lauter Spannung waren im Saal – mit Ausnahme sanft fallenden Papiers – nur die an Deutlichkeit kaum zu übertreffenden Worte des Präsident des ifo-Institutes aus München zu hören.
Die deutsche Wirtschaft hat ihr Wachstum im dritten Quartal 2017 nochmals gesteigert. Beflügelt wurde der Boom vom florierenden Außenhandel und steigenden Investitionen. „Die Stimmung in den deutschen Chefetagen hat ein neues Allzeithoch erreicht. Die deutsche Wirtschaft steht unter Volldampf“, analysiert der Ifo-Präsident.
Keine Chance für bloßes „Weiter-So“
Einem bloßen „Weiter-So“ gibt „Deutschlands einflussreichster Ökonom 2017“ – nach dem jährlichen Ranking der F.A.Z – keine Chance, wenn die boomende Wirtschaft in Deutschland auf Erfolgskurs bleiben und die gute konjunkturelle Lage anhalten sollen. Denn die unter Amerikas Präsidentem Donald Trump schwer kalkulierbare US-Politik, der nahende Brexit und die weiter schwelende Eurokrise verunsichern die Wirtschaft stärker, als es die aktuelle Lage widerspiegelt.
Grundkurs aus Bad Waldsee spricht mit
Zuvor zeigte sich Joachim Rukwied in seiner Begrüßung über die riesige Resonanz des 6. LBV-Unternehmertages erfreut. Der Präsident des gastgebenden Landesbauernverbandes in Baden-Württemberg (LBV) hieß ganz besonders den Grundkurs der Schwäbischen Bauernschule Bad Waldsee willkommen. Gemeinsam mit Schulleiter Egon Oehler waren die jungen Nachwuchsleute früh in Oberschwaben aufgebrochen, um das spannende Programm zur Digitalisierung und ihren Folgen live zu erleben und sich an der Diskussion zu beteiligen.
Digitaler Wandel mit atemberaubender Geschwindigkeit
„Der digitale Wandel verändert mit atemberaubender Geschwindigkeit Märkte,
Unternehmen und unsere Gesellschaft.“ Durch diese Situationsbeschreibung hatte Rukwied in seiner Einführung in das Tages-Motto die vielfältigen Herausforderungen gerade für die Betriebsleiter und ihre Nachfolger auf den Punkt gebracht.
Zuversicht für Landwirtschaft 4.0
„Für landwirtschaftliche Unternehmer gehört es dazu, den Blick über den Tellerrand zu richten, zu wissen, was Landwirtschaft 4.0 ist, Precision Farming bedeutet und welche Auswirkungen die Digitalisierung auf die landwirtschaftlichen Betriebe und den gesamten Agrarsektor hat“. Das betont Präsident Joachim Rukwied in seiner Eröffnung des 6. LBV-Unternehmertages am Freitag, 23. Februar 2018, im Internationalen Congresscenter in Stuttgart. Der Gastgeber verbreitet Zuversicht.
Drei von vier befragte Landwirte fühlen sich für die neuen Technologien gerüstet, haben oft bereits begonnen, sie in ihrem Betrieb anzuwenden und weiter auszubauen.
Neue Spielregeln, neue Chancen – das interessiert
Mehr als 800 Landwirtinnen, Landwirte und Teilnehmer aus der gesamten Agrarbranche sind auf die Vorträge und Diskussionen gespannt. Das Thema kommt an und bewegt. „Landwirtschaft 4.0 – Wie die digitale Revolution Spielregeln ändert und Chancen schafft“ – das bewegt die Unternehmer. Sie interessiert, wie sich der „mit atemberaubender Geschwindigkeit“, wie es Rukwied formuliert, vollziehende und durch die Digitalisierung in der Wirtschaft und ganzen Gesellschaft getriebene Wandel auf ihre Betriebe, ihre Betriebsorganisation und Wirtschaftlichkeit auswirkt.
Erkenntnisse mitnehmen, Erfahrungen austauschen
So kann das Ziel des LBV-Unternehmertages gelingen, den Teilnehmer an diesem Tag neue Erkenntnisse und Erfahrungen von Berufskollegen, Fachleuten und Beratern mit auf den Weg zu geben. Der LBV-Präsident ist auch hier zuversichtlich. Verständlich. Die Veranstaltung ist mit Rednern und Referenten erstklassig besetzt.
Impulse aus berufenem Munde
Gleich zum Auftakt gibt es für die Zuhörer spürbare Impulse aus berufenem Munde. Professor Dr. Dr. h. c. Clemens Fuest beleuchtet „Die deutsche Wirtschaft zwischen Trump, Brexit und Eurokrise“. Den Präsidenten des ifo-Institutes aus München und vielfach ausgezeichneten Ökonomen als Redner live zu hören, ist das erste Highlight der Großveranstaltung. Rukwied freut sich sichtlich, als er den Ökonomen aus München begrüßt und auf die Bühne bittet. Applaus braust auf. Es wird spannend.
Gefahr in Verzug
Und Fuest legt los. Chart auf Chart erläutert er. In verständlicher Weise! Und unterhaltend! Das kommt an. Denn das ist keineswegs selbstverständlich für Experten.
Ja, die wirtschaftliche Lage ist weltweit gut. Ebenso in Europa und Deutschland. Die Wirtschaft hierzulande boomt. Fuest ist ganz gewiss kein Miesmacher. Aber er warnt. Die Lage scheint stabil. Doch die Risiken sind groß. Die Entwicklung könnte, gerade auch in Deutschland, „in die falsche Richtung gehen“. Denken wir nur an geopolitische Risiken wie kriegerische Konflikte, Handelshemmnisse, Protektionismus. Oder an Brexit, Euro- und Bankenkrise und wachsende Staatsverschuldung vieler EU-Staaten.
Gute Prognosen können über Nacht kippen
Zwar sehen die Wirtschaftsprognosen im Euroraum gut aus. 2,5 Prozent Wachstum werden 2018 erwartet; mehr als in den Vorjahren. Und 2019 soll’s mit 2,0 Prozent gerade so weitergehen. Fuest erwartet 2018 für Deutschland gar 2,6 Prozent Wachstum nach 2,3 Prozent im Vorjahr. Und 2019 könnten es 2,1 Prozent sein, mehr als 2015 und 2016.
Wenn die Ampel nicht mehr auf Grün steht
„Täglich kommen aktuell Daten herein, welche die große Dynamik der Wirtschaft belegen“, erklärt der ifo-Präsident. Boomzeiten eben.
Doch viele gesamtwirtschaftlichen, geopolitischen und andere Risiken wirken sich in der Prognose insofern nicht aus, als sie sich gegenseitig ausgleichen, wie angenommen wurde. Doch das kann sich über Nacht ändern, weiß der erfahrene Wirtschaftsprofessor. Dann steht „die Ampel“ nicht mehr „auf Grün“, wie im Moment, drückt sich Fuest bildhaft aus. Trump, Brexit und Eurokrise – aber nicht nur die - lassen grüßen.
Wenn’s gut läuft, tut die Politik nichts …
„Wenn’s gut läuft, hat die Politik die Neigung, nichts oder wenig zu tun, im Sinne von ändern, vielmehr eher Geld zu verteilen, aber nicht an die Zukunft zu denken“, verweist Fuest auf steigende Steuereinnahmen in wirtschaftlich guten Zeiten. In Deutschland „haben wir so eine heimliche Steuererhöhung“, erklärt der Ökonom, weil in unserem Steuersystem im Gegensatz zu anderen Staaten keine Anpassung an wachsende Steueraufkommen enthalten sei.
Politik muss handeln
Der Koalitionsvertrag sehe steuersenkende Maßnahmen wie Abschaffung der „kalten Progression“ vor. Unter dem Strich führten die beabsichtigten Maßnahmen der Großen Koalition, falls sie denn komme, zu einer effektiven Steuererhöhung, rechnet Fuest vor.
Auch bei der Unternehmensbesteuerung müsse die Politik handeln. Deutschland hat derzeit mit 30 Prozent in der EU den vierthöchsten Satz der Unternehmensbesteuerung. Da Frankreich und Großbritannien Senkungen angekündigt haben, „muss die Politik handeln“, mahnt Fuest.
Konkrete Konzepte notwendig
Im Koalitionsvertrag „ist nicht alles schlecht“, meint der ifo-Präsident. Mehr Geld für die Bildung sei richtig. Notwendig seien jedoch konkrete Konzepte, um beispielsweise die Fachkräfteausbildung zu verbessern. Bei der Digitalisierung gelte es, auch im öffentlichen Sektor stärker voranzukommen.
Die geplanten „Ausweitungen der Rentenleistungen“ seien allerdings nicht gegenfinanziert kritisiert der Ökonom.
Handelskrieg schadet Amerika
Ein Handelskrieg, ausgelöst durch die neue US-Politik Donald Trumps, würde en USA am meisten schaden, erläutert Fuest. Würde die USA den Freihandel weltweit durch Zollerhöhungen komplett zum Erliegen bringen, beträfe das sieben Prozent des nationalen Bruttoinlandsprodukts (BIP) der USA. In Deutschland wäre es bezogen auf den Außenhandel mit den USA und den Verschiebungen im Außenhandel mit anderen Staaten etwa 0,1 Prozent des BIP.
Deshalb geht Fuest von keinem flächendeckenden, von den USA initiierten Handelskrieg aus. Vielmehr erwartet er Strafzölle für bestimmte Produkte aus einzelnen Branchen.
Brexit – ein grundlegendes Ereignis
Der Brexit sei „ein grundlegendes Ereignis“, erklärt der Ökonom. Seine wirtschaftlichen Auswirkungen entsprechen den EU-Zahlungen der 19 kleinsten EU-Mitgliedsstaaten.
Kommt eine Zollunion Großbritanniens mit der EU zustande? Da ist Fuest eher „skeptisch“.
Europäische Zentralbank „auf dem falschen Weg“
Die hohen Aufkäufe an Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank (EZB) hält der ifo-Präsident „für den falschen Weg“. Letztendlich würden so strukturell notwendige Änderungen unterlassen oder zumindest weiter verzögert. Zudem hätte Europa beim nächsten wirtschaftlichen Abschwung „ihr Pulver bereits verschossen“. Die EZB-Politik bereitet ihm deshalb Sorge.
Autor: hk