LBV-Unternehmertag
Mit kleinen Dingen Großes bewirken
"Digitaler Betrieb – Erfahrungen und Ideen aus der Praxis", lautete die Überschrift für das Forum II, in dem der Ackerbau, die Milchviehhaltung und die Schweinehaltung beleuchtet wurden. Es sprachen Oliver Martin aus dem Kraichtal, Uwe Mohr, Leiter Tierhaltungschule Triesdorf und Daniel Holling, Big Dutchman.
Telemetrie, Geoinformationssysteme, Ertragskarten: Stand heute ist man im Ackerbau in punkto Datenmanagement schon ziemlich weit fortgeschritten, wie Oliver Martin aus dem Kraichtal in seinem Referat deutlich machte. Sein Tipp: „Investieren Sie in kleinen Schritten und gehen Sie nach und nach an die Dinge heran,“ meinte Martin. Und: „Ich kann an vielen kleinen Stellschrauben drehen. Zum Beispiel: Wie stelle ich meinen Düngerstreuer richtig ein.“ Auch Ertragspotenzialkarten seien günstig zu erstellen und so könne man sich nach und nach an die Digitalisierung herantasten.
Der Daten-Sammler
Martin selbst hat in der Industrie in Sachen Automatisierung Erfahrungen gesammelt, bevor er in die Landwirtschaft einstieg. Im vergangenen Jahr hat er zusammen mit Marius Sauer das Unternehmen FarmBlick gegründet. Ziel dieses Unternehmens ist es, Landwirten, Beratern und Firmen den Einstieg in das Thema Precision-Farming zu erleichtern und so die Nachhaltigkeit der Lebensmittelproduktion zu optimieren. Oliver Martin liebt Daten aller Art, wie er sagt, möglichst viele, egal, ob er sie jetzt sofort braucht oder dann irgendwann später. Martins landwirtschaftlicher Betrieb, der Neuwiesenhof, sitzt im Landkreis Karlsruhe. Die Gesamtfläche liegt bei 160 ha, mit durchschnittlich 2 ha pro Schlag. Die Fruchtfolge ist mehrgliedrig mit Winterweizen, Raps, Soja, Braugerste, Dinkel, Körnermais und ein bisschen Luzerne. „Seit 1988 sind wir pfluglos und seit 2015 versuchen wir vereinzelt die Direktsaat zu etablieren,“ berichtet Martin. Ist es zum Beispiel zu feucht, kann es passieren, dass der Lössboden im Kraichgau zu stark verdichtet.
Klein angefangen
Angefangen habe alles mit dem Wunsch, einen bestmöglichen Überblick über den Betrieb zu bekommen. Zunächst habe er von einem Dienstleister so genannte Ertragspotenzialkarten organisiert. Auf den Karten haben die gelb markierten Bereiche ein eher geringes, die roten Bereiche ein eher ein hohes Ertragspotenzial. Das Bestellen der Flächen wird über die Schlagkartei vorgeplant, diese wird gefüttert mit Sensorinformationen und mit Geodaten sowie mit Betriebsinformationen. Auch jede Saatgut- oder Düngeranlieferung wird in die Datenbank eingebucht, berichtet Martin. Sobald auf dem Feld draußen die Maßnahme erfolgte, wird sie in der Schlagkartei zurückgebucht.
Feste Fahrspuren definiert - Wendezeitoptimierung
Für den gesamten Fuhrpark wurden feste Fahrspuren definiert. Bei den älteren Maschinen gibt es noch die USB-Technik, bei den neueren Maschinen geht es direkt übers Internet mit Telemetriedaten. Der Schlepper ist mit einem RTK-Lenksystem ausgestattet. Damit lässt sich beim Grubbern bis zu 20 Prozent Wendezeit gegenüber dem herkömmlichen Bearbeiten einsparen, beim Säen sind es sogar bis zu 30 Prozent. Zwar gilt der Kraichgau als Kornkammer Baden-Württembergs, doch gleichwohl sind die Schläge auch hier eher kleinstrukturiert. Während man für die großen Flächen in der Magdeburger Börde etwas mehr als 10 Prozent der Arbeitszeit auf das Wenden benötigt, sind es im Kraichgau immerhin rund 50 Prozent. Daran sehe man, dass sich mit 20 Prozent Wendezeitoptimierung viel Arbeitszeit einsparen lässt. Dies kann in einem feuchten Herbst entscheidend sein, ob man den Weizen noch rechtzeitig in den Boden bekommen oder nicht.
Sämaschine und Düngerstreuer
Gesät wird mit einer selbstgebauten ISOBUS Sämaschine, teilflächenspezifisch über Applikationskarten. „Die Maschine heißt bei uns „blaues Wunder“, weil wir sie blau ist und wir sie ungesehen gekauft haben“, erzählt Martin. Sie war ursprünglich 4,50 Meter breit, zu schwer für den Schlepper, weshalb sie Martin passend für den eigenen Betrieb umbauen musste. Gesteuert werden die ISOBUS-Geräte über Amapilot + Joystick von Amazone. Beim Düngerstreuer handelt es sich um ein Amazone Za-Ts ISOBUS Gerät, ausgerüstet mit einem Argus-Twin-System. Das ist ein Radar, das die Flugbahn der Körner überwacht und bei Bedarf nachregelt. Dies garantiert möglichst gleichmäßige Bestände. Künftig sollen hier auch noch Wetterdaten mit einfließen, so Martin. Überwacht werden die Bestände von einer selbst eingesetzten Drohne. Sie zeigt an, wenn an manchen Stellen die Saat nicht optimal aufgelaufen ist oder ob sich Unkrautnester ausgebreitet haben.
Gute Erfahrungen mit dem Bodenscanner
Mit einem Bodenscanner überfährt Martin die Flächen und kann so zum Beispiel Verdichtungen aufspüren, die genaue Bodenart oder Bodenfeuchte festhalten. Auch hiermit werden Karten erstellt, die dem Landwirt helfen seine Erfahrungen mit den Flächen jetzt mit echten Fakten und Messwerten abzugleichen. Zum Beispiel kann der Grubber anhand der Ergebnisse vor dem Einsatz je Feld hoch oder tief eingestellt werden. Das Pflanzenwachstum wird mit einem Fritzmeier-Isaria-Pflanzensensor überwacht. So zum Beispiel konnte man im vergangenen Jahr größere Mengen Pflanzenschutzmittel einsparen. Anhand der vielen Daten lasse sich nun eine Applikationskarte für die Sämaschine zusammenstellen. Dabei ist Martin noch am Tüfteln, wie er die Saatstärke je nach Bodenzustand bestmöglich optimiert. „In diesem Jahr werde ich in den schlechten Zonen weniger Saatgut geben, im vergangenen Jahr haben wir die Staatstärke für die ertragsschwächeren Zonen erhöht, was aber nicht unbedingt was gebracht hat“, so seine Erfahrung.
Top-Thema ist die Stickstoffdüngung
Großes Thema sei natürlich auch die Stickstoffdüngung. Auch hier helfen Martin die vielen Karten, die er schon erstellt hat. Allein für seinen Betrieb hat er über 15.000 Karten angelegt, unter anderem auch solche, auf denen die Schlaggrenzen herausgearbeitet sind. Es gibt FIONA-Karten, die Ertragspotenzialkarten, Bodenschätzungskarten, Feuchteverteilkarten. Je nach Maßnahme kommen die unterschiedlichsten Karten zum Einsatz. So kann die Verteilung der Stickstoffmenge über den Schlag kann ziemlich genau gesteuert werden. Oft geben die Daten unterschiedliche Informationen her. Laut Kartenmaterial sind für bestimmte Stellen 90 kg N vorgesehen, laut Sensor sind bei dem bestehenden Pflanzenbestand aber nur 60 kg N tatsächlich erforderlich. So lasse sich mit weniger Input dennoch der bestmögliche Output erreichen. Ähnliches gilt auch für den Pflanzenschutzeinsatz.
Bauern haben keine Daten zu verschenken
Insgesamt, so Martin, geht es um die Optimierung des Deckungsbeitrags und nicht um Ertragssteigerung. Landwirtschaft 4.0 heißt, dass alle am Produktionsprozess beteiligten Systeme komplett vernetzt sind. Wer es jetzt versäumt, sich mit seinen Betriebsdaten auseinanderzusetzen, wird zunehmend abhängig von Großabnehmern und Konzernen. Umso wichtiger wird es, die eigenen Daten zu schützen und mit Bedacht damit umzugehen. "Wir Bauern haben keine Daten zu verschenken. Wir dürfen der Industrie keine Daten liefern, mit denen diese ihre Produktentwicklung voranbringt und Millionen einspart. Hier sollte man sensibler sein", sagt Martin. Sein Tipp: „Arbeiten Sie mit Kollegen zusammen, um die Auslastung teurer Technik zu verbessern.“
Digitale Helfer im Rinderstall
Pansenbolus, Pedometer, Geburtsmelder: Die digitalen Helfer im Milchviehstall stellte Uwe Mohr vor, Leiter der Landwirtschaftlichen Lehranstalten in Triesdorf. Ziel ist es, Freiräume zu schaffen und nicht neue zusätzliche Aufgaben erzeugen. Das Ganze muss bezahlbar sein. Die Kosten für die Digitalisierung im Stall bezifferte er je nach Ausstattung auf 50 bis 500 Euro pro Kuh. Aktuell hätten die meisten Milchviehbetriebe andere Probleme als sich mit Digitalisierung zu beschäftigen. „Gleichwohl wollen die jungen Schüler sehr wohl wissen, was in Zukunft kommt und was machbar sein wird“, so Mohr. Wichtig sei, dass die Technik zum Tierhalter passt. Je einfacher, desto besser: „Ein Landwirt kann sich nicht stundenlang mit PC-Programmen beschäftigen und mehrere Bildschirme überwachen,“ so Mohr.
Auf die Vernetzung kommt es an
Melkdaten, Wiederkaudaten, Gesundheitsdaten: sie alle müssen vernetzt werden. Dabei gilt heute die Wiederkauaktivität als eines der wichtigsten Merkmale in der Praxis. Sie ist wichtig, sowohl für die Tiergesundheit als auch für die Brunsterkennung. Mohr‘s Lieblingskuh Diggi stand in der fünften Laktation als bei ihr die Wiederkauaktivität drastisch auf nur noch 30 Prozent zurückfiel. Der Grund: Sie hatte über das Futter einen Fremdkörper verschluckt. Durch die Messung konnte sofort reagiert werden und der Tierarzt hat das Tier gerettet.
Probleme frühzeitig erkennen
Gute Erfahrungen hat Mohr mit einem Pansenbolus gemacht, mit dem sich die Brunst der Kühe überwachen lässt. Hier gibt es jede Menge Messwerte wie ph-Wert, Körpertemperatur, Aktivität. Aus dem Pansen kommt dann die Meldung, dass die Kuh brünstig ist, ob sie Fieber hat oder zu wenig trinkt. „So erkennen wir Probleme frühzeitig“, sagt Mohr. Wichtig sei, dass man keine Insellösungen im Stall hat. Nur Systeme mit Schnittstellen wie die ISOBUS Norm in der Landtechnik ergeben Sinn.
Mehr Chancen als Risiken auch in der Schweinehaltung
Wie viel Digitalisierung brauche ich auf meinem Betrieb?, fragte Daniel Holling von Big Dutchman gleich zu Beginn seines Vortrags. Seiner Meinung nach passiere in der Landwirtschaft in Baden-Württemberg in Sachen Digitalisierung extrem viel. Und überhaupt sehen zwei Drittel der Landwirte die Digitalisierung mehr als Chance denn als Risiko. Mit Blick auf sein Unternehmen Big Dutchman meinte Holling: „Wir sind international unterwegs.“ Und: „Digitalisierung ist eine wichtige Stellschraube, um weiter vorne mit dabei zu sein.“
Wichtige Daten rund ums Schwein
Digital erfasst werden in der Schweinehaltung das Tiergewicht, die Tageszunahmen, die Futterverwertung und Zusammensetzung, Wasser- und Futterbrauch, Sauenleistung, Tierverluste und Klimadaten. Ziel sei es, die Produktivität durch Zunahmen und eine bessere Futterverwertung zu steigern und gleichzeitig Tierverluste und den Arbeitseinsatz zu reduzieren. Am meisten Erfahrung gebe es mit den Futterdaten. Über Sensoren und Tabellen wird hier der Wachstumsverlauf der Tiere festgehalten und das Futter entsprechend dosiert. Ferkelaufzucht und Mast würden zunehmend separat betrachtet. An Hand der Daten wird die Rückverfolgbarkeit erhöht. So können die Abnehmer entlang der gesamten Kette informiert werden, vom Stall bis zum Teller. „Das schafft Vertrauen“, findet Holling. Doch werden die Verbraucher mit zu vielen Informationen nicht auch verunsichert? „Das ist sicher so. Da muss man gut aufpassen“, rät Holling.
Die gläserne Produktion hält Einzug
Die Frage, ob Einzeltierdaten bis in die Vermarktung wirklich nötig seien, beantwortete er so: „Technisch ist das möglich und ja, es gibt Kunden die Einzeltiere erfassen. In der Praxis werden diese Daten in der Regel jedoch noch nicht an den Schlachthof weitergegeben. „Aber das wird kommen“, sagt Holling voraus. Hinzu kämen Daten zur Klimaüberwachung in den Ställen, so lassen sich die Energiekosten senken und das Tierwohl verbessern. Aber auch aus der Stoffstrombilanz kommen mehr Daten. Die Stoffströme sollen künftig genau erfasst werden. Hier gebe es ein Projekt mit der Landwirtschaftskammer Niedersachsen. Wichtig sei, dass das bundesweit einheitlich geregelt wird. Für Holling sieht die Zukunft im Schweinebereich so aus: Schweine werden online vermarktet. Futtermittel werden nicht mehr per Telefon bestellt, sondern über eine App. Krankheitsbilder werden über Apps verschickt und vieles mehr...
Autor: bor