LBV-Unternehmertag 2016
Tierwohl zwischen Zwang und Moral
Im Ton gesittet, in den Argumenten teils völlig konträr, lieferte Forum 3 zur Zukunft der Nutztierhaltung einen lebhaften Austausch zwischen Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft. So avancierte die Abschlussdiskussion unter der Moderation von DBV-Pressesprecher Dr. Michael Lohse zu einem der Höhepunkte des LBV-Unternehmertages.
Stuttgart, 18. Februar 2016
Schon allein die Eingangszitate (Übersicht am Ende des Beitrags) der Diskutanten auf dem Podium, welche Moderator Dr. Michael Lohse, Pressesprecher des Deutschen Bauernverbandes (DBV), beim LBV-Unternehmertag am 18. Februar 2016 vortrug und die in riesigen Lettern an der Stirnseite des mit 1200 Teilnehmern besetzten Kongresssaals C 1 auf der Neuen Messe in Stuttgart mit gelesen werden konnten, hätten verschiedener kaum sein können.
Warteliste bewegt die Gemüter
„Wann können Landwirte auf der Warteliste bei der Initiative Tierwohl mitmachen?" Der Moderator von Forum 3 zur Zukunftsfähigkeit der Nutztierhaltung bringt gleich zu Beginn die viele Teilnehmer heftig umtreibende Frage aufs Tapet.
Aldi sieht Initiative Tierwohl auf erfolgreichem Weg
Ralf-Thomas Reichrath, bei Aldi Süd für das Qualitäts- und Nachhaltigkeitsmanagement zuständig, räumt ein, sich zu Beginn eine einfachere Frage gewünscht zu haben. Bei rund 12 Millionen Schweinen und 250 Millionen Hähnchen sieht er einen großen Zuspruch für die Initiative, jedoch keinen juristischen Kontrahierungszwang, wenngleich eine „moralische Verpflichtung“ des Lebensmitteleinzelhandels.
Ihm wäre lieber, den Fokus auf Konkurrenzunternehmen zu richten, welche an der Initiative nicht teilnehmen und dadurch einen Wettbewerbsvorteil von vier Cent je Kilogramm Schlachtgewicht hätten. Die Initiative Tierwohl sieht er „auf erfolgreichem Weg" und fordert dazu auf, gemeinsam dafür Sorge zu tragen, damit weitere Landwirte mitmachen können.
Nutztierhaltung „in weiten Teilen“ nicht zukunftsfähig
Prof. Dr. Harald Grethe von der Universität Hohenheim hält die Nutztierhaltung in Deutschland „in weiten Teilen“ für nicht zukunftsfähig. Der Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz spricht sich dafür aus, das Tierschutzniveau anzuheben.
3 bis 5 Millionen Euro jährlich für höheres Tierschutzniveau
Das würde jährlich 3 bis 5 Millionen Euro kosten und könne nicht der Landwirtschaft „aufgedrückt“ werden.
- Dieses „Tierschutz-Sortiment“, für das er sich ein staatliches Label vorstellen kann, gelte es zu bewerben.
- Für die Initiative Tierwohl hält der Agrarökonom ein Signal für wünschenswert, die Finanzausstattung „zügig aufzustocken“.
- Weiterhin plädiert der Professor für den Umbau der Agrarpolitik zu einer zielorientierten Politik beispielsweise mit Tierschutz-Prämien.
So könnten in der Summe 3 Milliarden Euro jährlich zur Finanzierung höherer Tierwohl-Standards zusammenkommen.
Verbraucher braucht Vorstellung, warum es den Tieren besser geht
Bei Fleisch hält es Udo Pollmer derzeit kaum für möglich, ein Premiumsegment in Relation zum Tierwohl erfolgreich einzuführen. Der Verbraucher brauche nämlich eine Vorstellung, warum es den entsprechenden Tieren besser gehen solle, meint der Lebensmittelchemiker und bekannte Wissenschaftsjournalist. Dazu müsse
- die Landwirtschaft erst einen „Boden" einziehen,
- „Schmuddelbetriebe“ entfernen und
- die Nutztierhaltung besser und einfach erklären.
Das benötige Zeit. Auf lange Sicht könne dann er erwartet werden, dass Verbraucher mehr für hochwertiges Fleisch zu zahlen bereit sind.
Verbraucher fühlen sich nicht transparent aufgeklärt
Stefanie Pöpken spricht sich für eine andere Nutztierhaltung mit mehr Tierwohl aus. Die Fachreferentin der Kieler Tierschutzorganisation Provieh versteht es, sich in der Podiumsrunde gut in Szene zu setzen. Sie habe selbst Landwirtschaft studiert und große Bewunderung für die Landwirtsfamilien, welche „das tägliche Essen produzieren".
Bemerkenswert hoch hält sie die nach einer Foodwatch-Befragung 80 Prozent der Verbraucher, welche sich nicht transparent aufgeklärt fühlen, wie in der Nutztierhaltung Fleisch produziert wird. Es sei erstaunlich, wie wenig die zahlreichen Labels bekannt seien. Pöpken schlägt vor, analog zu den Eiern auch für Fleisch eine Kennzeichnung nach Haltungssystemen mit den Ziffern 1 bis 3 einzuführen.
Lebhafte Publikumsdiskussion
In der weiteren Diskussion auch unter Einbeziehung des Publikums können sich Reichrath und Grethe vorstellen, das Label des deutschen Tierschutzbundes in die Initiative Tierwohl zu integrieren.
Pollmer fragt sich unter großem Applaus, wie das gehen solle, wenn Verbraucher gegen neue Tierställe wären, jedoch höhere Tierwohl-Standards einforderten.
Ein Schweinehalter bemängelt, Tiernahrung werde je Kilogramm deutlich teurer als Frischfleisch für die menschliche Ernährung im Einzelhandel angeboten. „Was verramscht wird, ist nichts mehr wert“, meint er.
Junge Leute stärker in den neuen Medien erreichen
Pollmer argumentiert, man müsse junge Leute unter 40 Jahren stärker in den neuen Medien erreichen. Fernsehen, Radio und Printmedien nutzten vor allem ältere Leute. Diese müsse man jedoch nicht vom Verzehr von Fleischwaren und Wurst überzeugen. Bei der Meinungsbildung in Chats und sozialen Netzwerken sieht er vor allem auch jüngere Landwirte gefordert, die in diesen Medien "Flagge zeigen" müssten. Tage des offenen Hofes und Hoffeste würden heute nicht mehr zur Verbraucheransprache ausreichen.
Provieh räumt Fehler mit Begriff "Schreddern" ein
Eine Schweinehalterin „mit Leidenschaft" verwehrt sich gegen das in einer Pressemitteilung von Provieh kritisierte „Schreddern" von Küken. Sie kenne „in der Praxis keinen Betrieb, welcher Küken schreddert“. Vielmehr würden männliche Küken zu Futtermitteln verarbeitet oder teilweise frisch als Tierfutter in Falknereien und anderen Einrichtungen verwendet. Wer das kritisiere, möge auch sagen, was in diesen Fällen als Ersatz zur Fütterung verabreicht werden solle.
„Sie haben recht!“, bekennt Pöpken. „Wir haben da einen Fehler gemacht.“ Sie verspricht: „Das nehme ich mit
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Eingangszitate der Experten beim Forum 3
"Die Wissenschaft warnt: Unsere Form der Nutztierhaltung ist nicht zukunftsfähig. Stimmt das so?"
- Prof. Dr. Harald Grethe, Universität Hohenheim
"Zukunftsfähigkeit" erfordert eine deutliche Anhebung des Tierwohlniveaus in der deutschen Nutztierhaltung, insbesondere den Systemen der intensiven Mast!
Hierfür müssen Finanzierungsinstrumente geschaffen werden, denn das können Tierhalterinnen und Tierhalter (…) nicht aus eigener Tasche zahlen, es handelt sich hier um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe!
Bei hinreichendem politischen Willen, sowie den notwendigen Anstrengungen von Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft, sind die Ziele der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit und der gesellschaftlichen Akzeptanz durchaus vereinbar!
- Stefanie Pöpken, PROVIEH
Die jetzige Nutztierhaltung ist nicht zukunftsfähig, denn sie schädigt und zerstört die Umwelt, ist schlecht für die Tiere und schadet nicht zuletzt unserer Gesundheit.
Dass diese Haltungsform nur durch die Gabe von Medikamenten und Eingriffen am Tier möglich ist, zeigt die immensen Schwächen der Intensivtierhaltung.Wachse oder weiche!“ können wir daher nicht unterstützen.
Wir sind für eine Umkehr zu einer umwelt- und sozialverträglichen Landwirtschaft, die zudem den arttypischen Bedürfnissen der Nutztiere gerecht wird.
- Udo Pollmer, Buchautor, Lebensmittelchemiker
Wenn die Nutztierhaltung eine Zukunft haben soll, dann muss die Agrarwirtschaft die Menschen davon überzeugen, dass die Haltung von Nutztieren auf eine Weise erfolgt, die gesellschaftlich akzeptiert wird.
Solange diese Vorstellungen – sowohl der angeblich gruselige Ist-Zustand als auch das Ziel eines Streichelzoos - durch Spendensammelorganisationen definiert werden, geht die Landwirtschaft den Bach hinunter.
- Ralf-Thomas Reichrath, ALDI SÜD
Ein hohes Tierschutz- und Umweltschutzniveau ist unerlässlich, um auch zukünftig in der gesellschaftspolitischen Verbrauchererwartung zu bestehen - es passt hervorragend zusammen mit einer technisierten, modernen Landwirtschaft.
Insofern bleibt die Nutztierhaltung in Deutschland weiterhin zukunftsfähig.
Autor: hk