LBV-Vorstand erörtert Marktlage
Landwirte und Branche suchen Lösungen
Die aktuellen Entwicklungen an den Agrarrohstoff- und Betriebsmittelmärkten sowie in der Süddeutschen Veredlungsbranche diskutierten die Vorstandsmitglieder des Landesbauernverbandes (LBV) zum Auftakt ihrer Klausurtagung am 1. März 2016 an der Schwäbischen Bauernschule in Bad Waldsee (Landkreis Ravensburg).
Jürgen Freudenberger war froh, von Präsident Joachim Rukwied in „winterlicher“ Atmosphäre am 1. März 2016 an der Bauernschule Bad Waldsee begrüßt worden zu sein. Angesichts der nach wie vor unerfreulichen Situation an den Märkten hatte der Vorstandssprecher der Kraichgau Raiffeisen Zentrum eG bereits gefürchtet, in „frostiger" Atmosphäre empfangen zu werden. Denn große Hoffnung auf gute Prognosen für die Marktentwicklung in den nächsten Wochen hatten die Vorstandsmitglieder des Landesbauernverbandes beim Beginn ihrer Tagung nun wirklich nicht. Umso gespannter waren sie auf die Einschätzung des Gastreferenten für die Ernte 2016 und die weiteren Perspektiven.
Matif-Chart als positivste Darstellung
Doch Erfreuliches hat Freudenberger auf absehbare Sicht nicht wirklich mitzuteilen. Die „positivste Darstellung" seines Vortrags ist so das Matif-Weizenchart 2009 bis 2016. „Das Zeitfenster für akzeptable Preise öffnet sich immer wieder", macht der Marktfachmann Mut. Wenn in den letzten Jahren die Zeitfenster dafür auch relativ kurz waren, „sind die Chancen selbst in ausweglosen Situationen immer gegeben“, meint er.
Die Unsicherheit an den Getreide- und Ölfruchtmärkten sei derzeit „extrem groß“, räumt Freudenberger ein. Das Ende der niedrigen Rohstoffpreise („Rohstoffbaisse") hält er für nahe. Er sieht derzeit keinen akuten Handlungszwang. Den Abschluss von Kontakten empfiehlt er bei A-Weizen ab 170 Euro je Tonne aufwärts, bei Braugerste ab 180 Euro. Für Raps gibt er keine Empfehlung ab, weil die Marktlage „zu unsicher und zu unklar“ sei. Zum Vergleich: Ende Februar notierten die Börsenpreise für Ware aus der Ernte 2016 rund 141 Euro je Tonne bei A-Weizen, 160 Euro bei Braugerste und 316 Euro bei Raps.
Große Ernten und großer Verbrauch
In seiner Analyse der makroökonomischen Rahmenbedingungen sieht Freudenberger zwar keine Anzeichen für eine Rezession in Deutschland. Er verweist jedoch auf das Konfliktpotenzial in Europa, von dem Unsicherheiten ausgehen. So nennt er den möglichen Austritt Großbritanniens aus der EU ("Brexit"), die Fragmentierung der Parteienlandschaft, die mögliche Abspaltung Kataloniens von Spanien, eventuelle Neuwahlen in Portugal, ausstehende Reformen in Griechenland und die Ukraine-Krise mit dem Importembargo Russlands.
Marktdruck resultiert bei Getreide von den in den vergangenen drei Wirtschaftsjahren weltweit großen Ernten. So lag die Weltgetreideernte 2013/14 bis 2015/16 jeweils über dem weltweiten Getreideverbrauch, obwohl Letzterer ebenfalls kontinuierlich angestiegen war. Entsprechend stiegen die globalen Getreidebestände an. Die Weltgetreideernte übersteigt aktuell den Verbrauch um 0,54 Prozent. Das Verhältnis der Vorräte zum globalen Verbrauch liegt derzeit bei 23 Prozent.
Markenprogramme der Kraichgau Raiffeisen
Die Kraichgau Raiffeisen Zentrum eG (KRZ) hat derzeit mehr als 2000 ha Vertragsfläche für ihr Markenprogramm „Kraichgau Getreide“. Seit 2004 arbeitet sie mit der Sapporo Brauerei in Japan zusammen. Die Vermarktung von Qualitätsweizen und Durum habe lange Tradition. Durch diese Aktivitäten und höhere Auszahlungspreise entsteht für die Landwirte eine höhere Wertschöpfung.
Seit 2010 bietet die KRZ Erbsen und Sojabohnengemische aus dem eigenen Kraftfutterwerk frei von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) an. Mittlerweile hat sie mehr als 1000 ha Sojabohnen und über 300 ha Erbsen unter Vertrag. So erhöhen regionale Verarbeitung und Zusammenarbeit auf der Erfassungsstufe die Wertschöpfung für die Landwirte, betont Freudenberger.
Süddeutsche Veredlungsbranche unter Druck
Über Chancen und Herausforderungen für die süddeutsche Veredlungsbranche referieren die Geschäftsführer der Müller-Gruppe, Stefan Müller und Rolf Michelberger. Gesellschafter Stefan Müller lässt es sich im LBV-Vorstand nicht nehmen, persönlich das „Familienunternehmen" vorzustellen. Die Entwicklung von einem Schlachtbetrieb vor über 50 Jahren über zuletzt den Kauf des Bayreuther Schlachthofs 2010 und die Eröffnung der Ingolstädter Fleisch 2015 zum heute international aufgestellten Schlacht- und Fleischhandelsunternehmen mit rund 900 Millionen Jahresumsatz ist beachtlich. Bei Rind ist die Müller-Gruppe in Deutschland mittlerweile Nummer vier, bei Schwein Nummer fünf.
Die Weltfleischerzeugung ist in den vergangenen 20 Jahren um zwei Drittel gestiegen. Dabei haben Schweine- und Rindfleisch relativ Marktanteile eingebüßt, während Geflügelfleisch stark gewonnen hat und sich mit über 35 Prozent zunehmend dem Schweinefleisch mit noch 37,5 Prozent nähert.
Desaströse Situation in der Veredlung
Während die Erzeugerpreise für Fleckvieh-Nutzkälber 2015 im Vergleich zum Vorjahr ebenso wie für Jungbullen und sonstige Rinder sowie Lämmer zwischen vier und knapp neun Prozent gestiegen sind, sanken sie bei Schlachtschweinen um rund zehn und bei Sauen um über 20 Prozent, analysiert Rolf Michelberger.
Weltweit ist Deutschland 2015 mit 5,5 Millionen t Schlachtgewicht nach China mit rund 54 und den USA mit elf Millionen t zum drittgrößten Schweinefleischerzeuger aufgestiegen. Dabei wuchs die deutsche Schweinefleischerzeugung seit 2005 um rund 22 Prozent. Spanien hat in den vergangenen zehn Jahren mit einem Zuwachs von knapp 19 Prozent auf 3,7 Millionen t Schlachtgewicht ebenfalls die Schweinefleischproduktion intensiv ausgedehnt und liegt noch vor Brasilien mit 3,3 Millionen t weltweit an vierter Stelle. Vietnam verdoppelte sogar die Schweinefleischerzeugung binnen zehn Jahren auf mittlerweile 2,5 Millionen t Schlachtgewicht. Während in China als größtem Schweinefleischverbraucher der Konsum 2015 im Vergleich zum Vorjahr absolut um 0,4 Prozent und in den USA um 8,5 Prozent zulegte, sank er in Deutschland um 0,5 Prozent.
Die Ferkelimporte Deutschlands erhöhten sich von 9,7 Millionen Tieren im Jahr 2010 auf 11,8 Millionen im Jahr 2015. Das ist ein Zuwachs von über zwei Millionen Ferkeln oder rund 22 Prozent. Der Pro-Kopf-Verzehr an Schweinefleisch verringerte sich in Deutschland von 44,1 kg 2011 auf 37,7 kg 2015. Die Marktexperten der Agrarmarkt-Information (AMI) erwarten für 2016 einen weiteren Rückgang auf 36,5 kg Verzehr je Kopf. Das entspräche binnen fünf Jahren einem Rückgang um rund neun Prozent.
Im Jahresdurchschnitt 2015 lag der Marktpreis für Schlachtschweine in Deutschland bei 143 Euro je 100 kg Schlachtgewicht (kalt, Handelsklasse E). Der EU-Durchschnitt betrug laut AMI 140 Euro. In Ungarn beläuft sich dieser Wert auf 145, in Österreich auf 144 Euro. Spanien liegt mit 139 Euro unter dem EU-Durchschnitt, ebenso wie Polen mit 137, Frankreich mit 134 und die Niederlande mit 122 Euro je 100 Kilo Schlachtgewicht. „Deutschland ist bei Schlachtschweinen die Leitnotierung in Europa“, bilanziert Michelberger, wenn auch die Preisentwicklung „nicht zufriedenstellend“ sei.
Chancen und Herausforderungen
Die Originalität liegt im Trend. Der Verbraucher schätzt regionale Produkte. Sie haben ein positives Image. Dies unterstreicht Stefan Müller. Mit den Qualitätszeichen „geprüfte Qualität“ (GQ) in Bayern und dem Qualitätszeichen (QZBW) in Baden-Württemberg werde das regionale Profil im Fleischerhandwerk unterstützt, sagt der Geschäftsführer. Die Müller-Gruppe bietet so für die regionale Speisekarte auch regionale Produkte sowie in der Systemgastronomie beispielsweise den „Simmentaler Burger“ an. Der Lebensmitteleinzelhandel sieht in der Regionalität ein positives Kommunikationselement und setzt auf Transparenz und Herkunft bis zum landwirtschaftlichen Erzeuger. Regionalität sieht Mueller auch als Chance im Export. Er nennt "Bayerisches Rindfleisch" für Italien und "South German Pork" für Südkorea.
Beim „Süddeutschen Schweinefleisch“ setzt die Müller-Gruppe zur Sicherung der Qualitätsparameter auf vertragliche Bindung. Die gesamte Wertschöpfungskette werde über Zuschläge gestärkt, sagt Michelberger. Geburt und Mast erfolgen so beim "Süddeutschen Schweinefleisch" in Baden-Württemberg oder Bayern. Die Rückverfolgbarkeit ist dabei gesichert, Informationsaustausch in der Kette gewährleistet. Ein weiteres Plus sind kurze Wege vom Erzeuger zum Verbraucher. Der Lebendtiertransport darf maximal vier Stunden umfassen. Die Fleischqualität wird durch ein Monitoring vom Schlachtkörper über die Zerlegung bis zum fertigen Produkt gesichert.
So sehen die Mueller-Geschäftsführer in der Regionalität eine „nachhaltige Chance für die komplette Wertschöpfungskette bei Fleisch“. Dennoch sei freier Zugang zu den Exportmärkten notwendig, um den Regionalvorteil voll ausspielen zu können, betonen sie. Das QZBW werde bei GVO-Freiheit im Bereich Schweinefleisch „in der Nische bleiben“, lautet ihre Einschätzung. Dagegen boome in Bayern „GQ“ als reines Herkunftsprogramm. Die finanzielle und ideelle Förderung sowie die wissenschaftliche Begleitung halten sie auch zukünftig „von größter Bedeutung“. Die Müller-Gruppe plädiert für eine bessere „süddeutsche“ Zusammenarbeit zwischen Bayern und Baden-Württemberg.
Autor: hk