Bauerntag 2018 in Hechingen
Raus aus dem Schneckenhaus!
Hechingen (Zollernalbkreis), Samstag, 3. März 2018
Bauerntag der Kreisbauernverbände Tübingen und Zollernalb
Wie es sich anfühlt, zur Zielscheibe öffentlicher Angriffe zu werden, wissen Landwirte. „Das tut seelisch weh und hat teils körperliche Auswirkungen“, weiß Kautt. Er ruft den Bäuerinnen und Bauern zu: „Wir dürfen uns nicht ins Schneckenhaus zurückziehen!“
Sich nicht verstecken
Viele Mitmenschen seien mit den Meldungen in den Medien überfordert. „Überschriften brennen sich ein. Aber mit den meisten Mitbürgern kann man sich normal unterhalten“, macht der Kreisobmann Mut. „Wir Landwirte müssen uns nicht verstecken, sondern uns die Zeit nehmen und unser Handeln und Tun erklären. Hier ist jede Bäuerin und jeder Bauer gefordert, in seinem Umfeld und in den sozialen Netzwerken tätig zu werden.“
Bei Wahlen aufstellen lassen
Joachim Rukwied, der Hauptredner, knüpft an Kautts Gedanken an. Der Bauernpräsident ruft dazu auf, sich bei Wahlen aufstellen zu lassen. Rukwied wünscht sich mehr Bäuerinnen und Bauern in Gemeinde-, Stadt- und Kreisräten, als Abgeordnete in Land und Bund. Durch solches Engagement können sie die Leistungen der Landwirtschaft verdeutlichen und die berufsständischen Interessen aktiv vertreten.
Von der Natur abhängig
Kautt geht in seinem Rückblick als erstes auf Wetter und Witterung ein, fällt dem Präsidenten auf. „Wir Bauern arbeiten in und mit der Natur. Wir sind auf gutes Wetter angewiesen und abhängig von der Natur“, betont er. Diese Grunderkenntnis würde sich Rukwied bei manchen abgehobenen Debatten zur Landwirtschaft wünschen.
Starke Regierung vonnöten
„Deutschland braucht jetzt eine starke Regierung. Denn Europa steht ein Stück weit am Scheideweg. Grenzsicherung, Migration, Integration, Verteilung der Flüchtlinge – das sind neue Herausforderungen von politischer und ökonomischer Dimension für Europa“, erläutert Rukwied die Bedeutung einer handlungsfähigen, stabilen Bundesregierung.
Den Vorschlag der Bundeskanzlerin, Julia Klöckner zur Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft zu berufen, begrüßt der Bauernverband. „Christian Schmidt war ein verlässlicher, fairer Gesprächspartner“, weiß der Bauernpräsident. Die Verantwortlichkeit für Digitalisierung und ländliche Räume gehört ins Landwirtschaftsministerium. Dort ist der Sachverstand. An dieser Position des Bauernverbandes lässt Rukwied keinen Zweifel.
Er erneuert seine zuletzt beim LBV-Unternehmertag am 23. Februar 2018 geäußerte Forderung, den ländlichen Raum flächendeckend mit schnellem Internet auszustatten. Hier hat Deutschland einiges aufzuholen. Weltweit liegt es bei der Breitbandverkabelung nur auf Rang 27.
Europa braucht mehr Geld
„Europa muss stärker finanziert werden. Sonst sind die enormen Herausforderungen nicht zu leisten. Durch den Brexit schlagen jährlich rund 10 Milliarden Euro negativ zu Buche. Deshalb brauchen wir eine stärkere nationale Finanzierung für Europa und zugleich einen stabilen Agrarhaushalt“, fordert Rukwied.
70 Prozent der Fläche der EU sind ländliche Räume. Deren Rückgrat, die Landwirtschaft, „muss erhalten bleiben!“ Dieses Signal nimmt der Bauernpräsident aus vielen Regionen Europas auf. Das lässt ihn auf ein einigermaßen stabiles Agrarbudget hoffen. „Das ist ökonomisch auch darstellbar“, argumentiert er. Als Zugeständnis an die Briten, die jetzt die Gemeinschaft verlassen, seien seinerzeit die EU-Zahlungen der Mitgliedsstaaten auf 1,00 Prozent des Bruttonationaleinkommens (BNE) gedeckelt worden. Das gelte es, nun zu ändern. Der Anteil sei auf rund 1,25 Prozent des BNE zu erhöhen.
Hogans Vorschläge als Basis
Die Vorschläge von Agrarkommissar Phil Hogan zur künftigen Ausgestaltung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) von Ende November 2017 bezeichnet Rukwied als „Basis, auf der man aufbauen kann.“ Allerdings seien einige Details zu besprechen, beispielsweise das „doppelte Greening“. Den Spielraum, den die Mitgliedsstaaten künftig für Klima- und Naturschutzmaßnahmen erhalten sollen, sieht der Bauernverband sehr kritisch. Rukwied verweist auf die in Deutschland de facto 16 Gebietskulissen aufgrund der föderalen Struktur. Künftig könnten die Wettbewerbsverzerrungen durch womöglich 27 unterschiedliche Ausgestaltungen des Greening in der EU noch größer werden, sei zu befürchten.
Die Kappung der Direktzahlungen aus der Ersten Säule lehnt der Bauernverband ab. Degression will er durch noch stärkere Förderung der ersten Hektare umsetzen. Diese klare Positionierung hat Rukwied sowohl dem Agrar- und Haushaltskommissar als auch zahlreichen Europa-Abgeordneten mit auf den Weg gegeben.
Handelsabkommen ja, aber fair
Der Bauernverbandes spricht sich grundsätzlich für Handelsabkommen aus. „Aber sie müssen fair ausgestaltet sein und dürfen zu keinen Wettbewerbsverzerrungen beispielsweise durch unterschiedliche Produktionsstandards führen“, betont Rukwied. So, wie in den vergangenen Wochen das Abkommen mit Staaten Südamerikas (Mercosur; Gemeinsamer Markt Südamerikas) nachverhandelt worden wäre, sei es nicht mehr akzeptabel. Denn zwischen den Partnern würden völlig unterschiedliche Standards gelten, begründet der Bauernpräsident. Die vorgesehenen Einfuhrquoten insbesondere bei Rindfleisch und Zucker müssten wieder reduziert werden.
Rosinen picken geht nicht
US-Präsident Donald Trumps Strafzölle auf Stahl und Aluminium bereiten dem Präsidenten Sorge. Er verweist auf die vom Ifo-Präsidenten Professor Clemens Fuest beim LBV-Unternehmertag erläuterte Einschätzung. Danach würden bei einem Handelskrieg alle verlieren, insbesondere die USA selbst.
„Die EU darf nicht der Verlierer des Brexits sein“, bezieht Rukwied klar Position. „Premierministerin Theresa May pickt Rosinen. Deshalb muss die EU hart verhandeln“, folgert der Bauernpräsident. Weiter gegenseitig Handel zu betreiben, formuliert er als Ziel. Denn der britische Markt sei wichtig. Der Exportüberschuss Deutschlands betrage rund 3,5 Milliarden Euro je Jahr.
Konzentration im Handel stoppen
Die wachsende Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel ist dem Bauernverband ein Dorn im Auge. Der seinerzeitige Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel sei seiner Verantwortung nicht gerecht geworden, indem er den Verkauf von Tengelmann an Edeka genehmigt hätte. So nehme die Marktmacht und Marktdominanz einzelner Großkonzerne weiter zu. „Das muss die Politik aufgreifen. Sonst sind wir Bauern nur noch auf der Verliererstraße“, betont Rukwied.
Vorrang für Nutztiere
Bei manchen Diskussionen über Wildtiere sollten sich die Bürger schon fragen:
- „Was wollen wir?
- Naturlandschaft?
- Oder Kulturlandschaft, in der Arbeitsplätze erhalten werden und junge Menschen Zukunft haben?“
Rukwied wird deutlich: „Der Schutz der Nutztiere hat absoluten Vorrang. Die Almbeweidung in Österreich und der Schweiz ist erst möglich, seit die Menschen dort den Wolf im Griff haben. Das bestätigen uns die Kollegen im Gespräch. Auch in Norddeutschland, wo sich Umweltschützer und Landwirte über die Notwendigkeit des Wildtiermanagements einig sind.“
Politik an Bedürfnissen der Bürger ausrichten
Politische Entscheidungen sollten auf den Bedürfnissen der Bürger, entsprechend Entscheidungen in der Agrarpolitik auf den Bedürfnissen der Bauernfamilien aufbauen – und nicht aufgrund ideologischer Überzeugungen getroffen werden. Das betont Rukwied.
Wenn die Anliegen der Menschen berücksichtigt würden, sieht er gute Zukunftsperspektiven für die junge Generation, für die Landwirtschaft und die ganze Wirtschaft. Er spricht sich dafür aus, die Perspektive auf Arbeitsplätze wieder in den Fokus zu bringen. Nachhaltigkeit und Soziales seien nur im Einklang mit den notwendigen ökonomischen Voraussetzungen zu realisieren.
Landwirtschaft hat Zukunft
Die Politik fordert Rukwied auf, die Rahmenbedingungen zukunftsorientiert zu setzen. Dabei sei genügend unternehmerischer Freiraum notwendig, damit sich die Betriebe positiv weiterentwickeln können.
Landwirtschaft der Zukunft! Davon ist der Bauernpräsident überzeugt. Denn ohne Lebensmittel könnten die Menschen nicht leben. Sein Appell: „Lassen Sie uns gemeinsam für die Landwirtschaft einsetzen!“
Abhängig vom Wetter
An den frühen Vegetationsstart, den starken Spätfrost und die Ertragsausfälle bis zu 98 Prozent im Obstbau hatte Kautt in seinem Rückblick auf das Jahr 2017 in seiner Eröffnungsrede erinnert . „Nach dem geschickten Frühjahr kam pünktlich zur Ernte der Regen“, verweist der Kreisobmann auf die Abhängigkeit der Bauern vom Wetter.
Dank für den „Grillsommer“
Für die Aktion „Wir machen deinen Grillsommer“ in Hechingen dankt Kautt allen Mitwirkenden gleich zu Beginn seines agrarpolitischen Rückblicks. „Durch solche Aktionen kommen wir mit den Verbrauchern in Kontakt. Unsere Aktion hat allen Beteiligten so gefallen, dass wir für dieses Jahr in Rottenburg dieselbe Veranstaltung planen“, kündigt er an.
Kranke Tiere schlagen aufs Gemüt
„Als Bäuerinnen und Bauern hegen und pflegen wir unsere Tiere. Wir schauen, dass es ihnen gut geht, weil nur gesunde Tiere gute Leistungen bringen. Kranke Tiere schlagen uns aufs Gemüt.“ Mit deutlichen Worten kommentiert Kautt die Sendung ‚37 Grad‘ über Schlachttiertransporte und die Behandlung von Nutztieren. „Entsetzen und Eckel löste diese Sendung auch bei uns Landwirten aus“, betont er. Der Bauernverband hat sich klar positioniert. Er fordert die Aussetzung von Schlachtviehexporten unter solchen Bedingungen (BWagrar 50/2017, Seite 11, Interview mit Alexander Schäfer).
Der Kreisobmann richtet seinen Appell an alle Tierhalter: „Fragt nach, wohin die Schlachttiere gehen, und im Zweifelsfalle sucht bitte einen anderen Vermarkter!“ Den „freiwilligen Verzicht auf Tierverkäufe in Drittländer“ begrüßt er, den ganz aktuell Landwirtschaftsminister Peter Hauk in einem Runden Tisch vereinbart hat.
Tiefe lässt zu wünschen übrig
„Was uns Landwirten wenigstens genau so unter die Haut geht, ist die Darstellung der Landwirtschaft in den Medien“, spricht Kautt ein weiteres brisantes Thema an. „Wir leben heute in einer Welt voller Informationen.
Doch während die Breite des allgemeinen Wissens ständig wächst, lässt die Tiefe immer mehr zu wünschen übrig. Und dabei vergessen wir immer mehr, vorgegebene Meinungen zu hinterfragen. Dieses Halbwissen fördert die Manipulierbarkeit der Menschen. Und die bekommt jeder zu spüren, der selber zum Ziel einer Hetzkampagne wird“, gibt der Kreisobmann zu bedenken.
Glaubenskrieg um die Landwirtschaft
Beim „Glaubenskrieg um die Landwirtschaft“ gehe es nicht um eine ehrliche und zielorientierte Diskussion, sondern darum, „ideologische Ziele zu erreichen, die sich verschiedene Gruppierungen gestellt haben.“ Ob Glyphosat, Nitratbelastung des Grundwassers, Bienensterben und so weiter – Kautt verkennt überall das gleiche Muster.
Mobbing an die Öffentlichkeit gebracht
Das Thema „Mobbing von Bauernkindern wurde durch die Umfrage der Landfrauen Württemberg-Hohenzollern in die Öffentlichkeit gebracht, lobt Kautt. Besonders erschreckend: Mobbing geht zu einem großen Teil von Lehrern und Erziehern aus.
Der Bauernverband unterstützt den Aufruf der Landfrauen: „Bitte schauen sie das Schulmaterial ihrer Kinder oder Enkel an, achten sie darauf, wie die Landwirtschaft dargestellt wird. Begriffe wie Umweltzerstörer, Tiermörder etc. melden sie bitte an die Geschäftsstelle des Bauernverbandes oder der Landfrauen“, appelliert Kautt.
Zielscheibe öffentlicher Angriffe
Wie es sich anfühlt, zur Zielscheibe öffentlicher Angriffe zu werden, wissen auch sehr viele Landwirte. „Das tut weh, seelisch, und hat zum Teil auch körperliche Auswirkungen“, weiß Kautt und ruft den Bäuerinnen und Bauern zu: „Aber wir dürfen uns nicht ins Schneckenhaus zurückziehen, was man am liebsten möchte!“
Landwirte müssen sich nicht verstecken
Sehr viele Mitmenschen seien mit den Meldungen überfordert. „Überschriften brennen sich ein. Aber mit den meisten Mitbürgern kann man sich normal unterhalten“, macht Kautt Mut. „Wir Landwirte haben nichts zu verstecken, wir müssen uns die Zeit nehmen und unser Handeln und Tun erklären. Hier ist jede einzelne Bäuerin und Bauer gefordert, in seinem Umfeld und in den sozialen Netzwerken tätig zu werden.“
Ausgleich für höhere Kosten
„Wir haben in Europa und noch mehr in Deutschland wesentlich höhere Produktionskosten in der Landwirtschaft als in anderen Teilen der Welt. Dies sind nicht nur höhere Löhne und Sozialstandards, sondern auch vielfältige Leistungen für die Gesellschaft wie Grundwasserschutz, Tierschutz, Artenschutz, Düngeverordnung, Gewässerrandstreifen, allgemeine Umweltauflagen. Die kennt man in der restlichen Welt nicht.“
Der Kreisobmann kommt auf Wettbewerbsverzerrungen zu sprechen. „Dafür bekommt die Landwirtschaft die Ausgleichszahlungen, für die Erzeugung hochwertiger Lebensmittel und die Pflege einer flächendeckenden Kulturlandschaft.
Kautt kann es nicht verstehen, dass die Landwirte den Ausfall der Briten als Nettozahler der EU wegen des sogenannten Brexit „mit Kürzungen der Ausgleichszahlungen bezahlen sollen“.
Zu wenig Raum für den Wolf
Für Kautt ist ganz klar, in einem so dicht besiedelten Gebiet wie Baden-Württemberg „ist ein Nebeneinander zwischen Wolf und Mensch nicht möglich. Der Wolf gehört ins Jagdrecht. Wir brauchen für den Wolf eine Lösung, mit der beide Seiten leben können. Und es muss für solche Wildtiere auch Bestandesgrenzen und Tabuzonen geben.“
Wenn der Wolf bei uns heimisch werde, sei es mit der Schafhaltung auf der Alb und der Weiderinderhaltung aus.
Autor: hk