Agrarpolitik in Baden-Württemberg
Kursbestimmung vor der Wahl 2016
Hohebuch, 8. Januar 2016.
Unter dem Motto „Landwirtschaft und Agrarpolitik in Baden-Württemberg – Kursbestimmung vor der Landtagswahl 2016“ stand am 8. Januar 2016 das traditionelle Hohebucher Agrargespräch beim Evangelischen Bauernwerk in Württemberg.
Grüne Agrarpolitik mit neuen Akzenten
Ministerialdirektor Wolfgang Reimer vom Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz (MLR), Stuttgart, nahm gleich nach der Einführung von Bauernwerk-Geschäftsführer Dr. Clems Dirscherl eine Bestandsaufnahme von fünf Jahren „grüner‘‘ Agrarpolitik in Baden-Württemberg vor. Die neuen Akzente grün-roter Landespolitik wurden dabei den Zuhörern im bis auf den letzten Platz gefüllten Vortragssaal deutlich.
- Das Land hatte gleich zu Beginn der Legislaturperiode Maßnahmen in den Agrarumweltprogrammen gekürzt, "die wir sowieso nicht weiterführen wollten", wie die Mulchsaat.
- Die Direktzahlungen aus der ersten Säule werden in Baden-Württemberg an das Niveau anderer Bundesländer angepasst.
- Trotz des Zuschlags für die ersten Hektare hält Reimer die Direktzahlungen für "nach wie vor ungerecht". 20 Prozent der Betriebe erhielten rund 80 Prozent des Geldes.
- Die Mitnahmeeffekte von MEKA zu FAKT wurden schrittweise verringert.
- Der grundsätzliche Paradigmenwechsel zu "Öffentliche Mittel für öffentliche Leistungen" ermöglicht keinen Marktausgleich mehr, allein schon wegen des durchschnittlich höheren Einnahmeausfalls je Betrieb bei schlechten Preisen. Dafür biete die Erste Säule eine Art "Grundeinkommen", so der Ministerialdirektor.
- Schwerpunkte der Zweiten Säule sind die Zahlungen für öffentliche Leistungen, Marktstrukturförderung sowie Förderung der Qualitätsproduktion.
Angebote, keine Vorschriften
„Wir machen Angebote, keine Vorschriften, weder zu Öko, Premium oder Größe", betont Reimer, der die Bewertung der grünen Agrarpolitik den Zuhörern überlassen will. Er hält sie für erfolgreich; das wird bei aller Zurückhaltung deutlich. Aber: „Wir brauchen nochmals fünf Jahre. Zu Beginn wird immer geblockt", meint der Ministerialdirektor. Er könne ohne dieses Amt leben, sei jedoch keinesfalls amtsmüde, bekennt er.
Bestandsaufnahme der Agrarpolitik im Südwesten
Vertreter aus der Landwirtschaft unterzogen die „grüne" Agrarpolitik in Baden-Württemberg einer kritischen Bewertung. Den Auftakt machte Horst Wenk, stv. Hauptgeschäftsführer des Landesbauernverbandes (LBV) in Baden-Württemberg (BWagrar berichtet in Heft 2/2016).
Nicht Farbe, sondern Beitrag zur Problemlösung interessiert
Die Landwirte interessiert nicht, "welchen farblichen Anstrich die Agrarpolitik hat, sondern ob sie dazu beiträgt, ihre Probleme zu lösen", betont Horst Wenk. Für den stellvertretenden Hauptgeschäftsführer des Landesbauernverbandes (LBV) ist klar: "Nur in eine nachhaltige Landwirtschaft kann Zukunft haben." Dabei bedeutet für ihn nachhaltig zugleich "ökonomisch tragfähig, ökologisch und sozial verträglich". Gerade die Grünen würden jedoch vor allem die ökologische Komponente betonen und vernachlässigen, "dass man auch wirtschaftlich erfolgreich sein muss". Das gelte besonders im Zeitalter der Globalisierung.
Einiges sei umgesetzt worden, was im Koalitionsvertrag angekündigt worden war. “Bei vielem sagen wir 'leider'!", bekennt Wenk.
- Grünlandumbruchverbot
- Bewirtschaftungseinschränkungen bei Gewässerrandstreifen
- Umwandlungsgebot in Grünland ab 2019
- Einschränkungen bei der Investitionsförderung
- Streichung der Mulch- und Direktsaat im FAKT-Programm
- Abschaffung besonders umweltfreundlicher Verfahren bei der Wirtschaftsdüngerausbringung
- Begünstigung insbesondere des Ökolandbaus und extensiverer Bewirtschaftungsformen in FAKT.
- Dabei hat Wenk "überhaupt nichts gegen die Förderung des Ökolandbaus", fragt sich jedoch "Was bleibt eigentlich für den klassischen konventionellen Betrieb noch übrig?"
- Vernachlässigung der agrarstrukturellen Wirkung in der Flurneuordnung doch Einführung des ökologischen Mehrwertes
- Stärkere Umverteilung von der Ersten in die Zweite Säule
- Verbandsklagerecht für Tierschutzverbände
- Jagdrechtsnovelle mit der 80 Prozent-Schadensregelung bei Mais
Der LBV-Vertreter kritisiert die fehlende Analyse der Auswirkungen der genannten Gesetze, Richtlinien und Verordnungen auf die Landwirtschaft. Er sieht vor allem die Produktionsauflagen und damit der Kosten erhöht. Die Einkommenswirkung nehme ab zunehmend werde massiv in das Eigentum eingegriffen – deutlich über die Sozialpflichtigkeit hinaus. Unbeantwortet bleibe jedoch in den meisten Fällen die Frage, wie die aus politischen Entscheidungen resultierenden negativen Einkommenswirkungen ausgeglichen werden, kritisiert Wenk.
Der stellvertretende Hauptgeschäftsführer verweist auf den LBV-Forderungskatalog zur Landtagswahl 2016 mit rund 70 Einzelforderungen. Als drei wichtigste Forderungen nennt er:
- Ein weiterhin eigenständiges Ministerium,
- keine Kürzungen in der Ersten Säule der Direktzahlungen und
- die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit.
Für Qualitätsführerschaft
Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) setzt "klar" auf Qualitätsführerschaft, nicht auf Kostenführerschaft, wie ihr Geschäftsführer Dr. Frieder Thomas aus Konstanz erklärt. Den Regierungswechsel beurteilt er positiv. Die Stimmung habe sich geändert. Viel Hoffnung sei damit verbunden, aber ebenso „ein bisschen Frust, dass der kulturelle Wandel, den die Grünen eingeleitet haben, noch auf sich warten lässt!"
Agrarinvestitionsförderung will die AbL "grundsätzlich nicht". "Aber wenn alle dopen, muss auch Baden-Württemberg dopen", meint Thomas. Es gehe auch darum, innerlandwirtschaftliche Disparitäten zu ändern. Bei der Umsetzung der Zeiten Säule lobt er die Landesregierung. Ebenso bei der Weiterentwicklung der Beratung, wenn diese auch teurer komme und nicht alles einfacher wäre.
Vieles an der grünen Agrarpolitik sieht Thomas positiv, manches jedoch auch kritisch. Beim Pachtpreis stellt er sich etwas wie die Mietpreisbremse vor. Als Voraussetzung für funktionierende Märkte hält er mehr Transparenz für nötig. Die Klimadiskussion könne die Landwirtschaft treffen. Enttäuscht ist er über eine fehlende Vision zum Umbau der Tierhaltung in Baden-Württemberg. Hier müsse man auf kommunaler Ebene arbeiten, um die mittelständische Tierhaltung zu erhalten.
Nischen und Premium nur zum Teil eine Lösung
"Die grüne Agrarpolitik setzt weniger auf Weltmarkt, sondern mehr auf Nischen und Premiummärkte. Diese können aber nur für einen Teil von uns Bauern eine Lösung sein. Wir sind auf Export angewiesen, ob wir wollen oder nicht. Hier fehlen mir Impulse. Wie kommen wir in der Breite der Landwirtschaft aus dieser ungünstigen Marktsituation heraus?". Das fragt Bernd Kraft, Vorstand des Evangelischen Bauernwerkes in Württemberg.
Bei den Stalleinbrüchen hätte sich Kraft mehr Rückhalt von der Politik gewünscht. Der Dialog mit den Bauern fehlt ihm bei Minister Alexander Bonde. Als „sehr gut" beurteilt er den Einstieg in die Prämienstaffelung. Die Direktzahlungen stünden in der Kritik, machten jedoch einen großen Teil des Einkommens aus. Eine Umverteilung in die zweite Säule komme jedoch bei den Landwirten nicht vollständig an.
Die Novellierung der Dünge-Verordnung "macht uns Sorge, besonders die geplanten Änderungen bei den Gülle-Lagerstätten. Der ein oder andere könnte das Handtuch werfen, befürchtet Kraft. Fünf-Jahres-Pläne seien im FAKT-Programm für die Tierhaltung zu kurz. Im Stallbau müsse man für 20 Jahre planen. Auf die Europäische Innovations-Partnerschaft ist Kraft gespannt. Sie sei eine „schwierige Geburt" gewesen.
Agrarsprecher beziehen Position
Die agrarpolitischen Sprecher der Landtagsfraktionen bezogen nachmittags Position zur Landwirtschaft und Agrarpolitik im Südwesten. Dabei waren die Landtagsabgeordneten (MdL):
- Peter Hauk, CDU, zugleich Vizechef seiner Fraktion;
- Martin Hahn, Bündnis 90/ Die Grünen;
- Thomas Reusch-Frey, SPD;
- Dr. Friedrich Bullinger, FDP.
„Die Zielsetzung ist ganz klar: die Wirtschaftsfähigkeit der Baden-württembergischen Landwirtschaft muss verbessert werden", betont der CDU-Fraktions-Vizevorsitzende und frühere Landwirtschaftsminister Peter Hauk. Nach wie vor plädiert er für den steuerlichen Risikoausgleich. Für richtig hält er den Wegfall begrenzender Faktoren wie die Milchquote. Die Rahmenbedingungen müssten für die Landwirte stimmen. Das sei unter anderen eine Frage der Beratung, die in der Landwirtschaft Professionalisierung werden müssten. Hauk nennt ebenso die Flurneuordnung. Um die schlechteren Strukturen zu überwinden, seien größere Unterstützung beim Eigenkapital und stärkere Anstrengungen in der Ausbildung notwendig. Landwirtschaftliche Produktion solle überall im Land stattfinden und keine Produktionsart bevorzugt werden, fordert der CDU-Vertreter.
„Mit den Fördermaßnahmen werden ökologische Leistungen honoriert. Wenn derselbe Betrieb wegen rückläufiger Preise aber Zehntausende Euro verliert, fehlt massiv Einkommen", räumt der Grünen-Agrarsprecher Martin Hahn ein. Er will künftig deutlichere Worte in die Lebensmittelkonzerne hinein finden. Die Debatte um die Regionalisierung habe "auch die Politik sträflich vernachlässigt!" "Made in Baden-Württemberg heißt Qualität. So können wir Verständnis für die Anliegen der Bauern in Baden-Württemberg schaffen", meint Hahn.
Wertschätzung und Anerkennung für die Bauern möchte SPD-Agrarsprecher Thomas Reusch-Frey vermitteln. Politik müsse zuverlässig sein. Deshalb sei ihm Dialog sehr wichtig. Die Entfernung der Bevölkerung von der Landwirtschaft sei ernst zu nehmen, das Spannungsfeld zwischen Ökonomie und Ökologie zu erklären. Illegales müsse verurteilt werden, meint er zu den Stalleinbrüchen. Beim Tierschutz gelte es, die Zusammenhänge in Schulen und in der Ausbildung zu erklären. Zur Agrarinvestitionsförderung sagt er ein „klares Ja". Bäuerliche Struktur und ländlicher Raum gehören für ihn zusammen. Das gelte auch für die Verantwortung der Versorgung mit Breitband, Ärzten und Verkehrsinfrastruktur. Bei der Agrarproduktion müsse man zweigleisig fahren, weil sich insbesondere sozial schwache und weniger einkommensstarke Bürger Premium-Produkte nicht leisten könnten.
Die Mehrheit gäbe nur 11 Prozent des Einkommens für Lebensmittel aus, erinnert FDP-Agrarsprecher Dr. Friedrich Bullinger. Bei der Umsetzung der Politik, bei Kontrollen und in der Ausbildung gebe es deutliche Unterschiede in den Bundesländern. Die Rahmenbedingungen seien gerade in Baden-Württemberg "nicht gut". Man müsse nicht nur die Gemeinnützigkeit des Eigentums sehen, sondern auch unternehmerische Aspekte. Zu viel Eingriffe in die Freiheit entmutigten die Unternehmer und ihre Familien. Wichtig sei es, die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und keine Wirtschaftsform zu bevorzugen. Es könne nicht sein, dass rund acht Prozent der Betriebe zwei Drittel der Finanzmittel bekämen. Für Bullinger liegt der Schlüssel in der Verbesserung der Einkommenslage in der Regionalität – "und zwar bei allen Produktionsformen". Bullinger spricht sich ebenfalls erneut für den steuerlichen Risikoausgleich aus.
Lebhafte Diskussion
Die anschließende Plenumsdiskussion stand ganz unter dem Eindruck der Bestandsaufnahme von Miniterialdirektor Wolfgang Reimer und der Kursbestimmung und Politikbewertung durch die Landwirtschaftsvertreter am Vormittag sowie den Positionen der Abgeordneten am Nachmittag. Ein lebhafter und durchaus konträrer Verlauf war damit abzusehen.
Mugele meldet sich zu Wort
"Das MEKA-Programm konnte fehlende Einkommen zum Teil ausgleichen. Mir fehlt ein Instrument, wie wir die Preise stabilisieren können. In der Nutztierhaltung brauchen wir einen gesellschaftlichen Grundkonsens. Ökologische Maßnahmen müssen wirtschaftlich tragbar sein. Hierfür brauchen wir Lösungen", meldet sich in der Diskussion unter anderen LBV-Vizepräsident Klaus Mugele zu Wort.
Die Zuhörer jedenfalls können erste Erkenntnisse für den Kurs und die Absichten der Parteien in der Agrarpolitik mit Blick auf die Landtagswahl am 13. März 2016 mit nach Hause nehmen.
Autor: hk