Kreisbauerntag Esslingen
Bodenverlust – der Wermutstropfen des Booms
Stuttgarts Regionaldirektorin Schelling sieht ausreichend Grünflächen gesichert
Flächen sind ein hohes Gut, Kultur und Landschaft ein wichtiger Wohlfühlfaktor für die Stadt. Wachstumsdynamik und zugleich die Sicherung von Grünzügen sei die Stärke der Region Stuttgart. Das erklärte Regionaldirektorin Dr. Nicola Schelling beim Kreisbauerntag am 14. Februar 2015 in Dettingen/Teck (Landkreis Esslingen).
Im Internationalen Jahr des Bodens 2015 sind die Zuhörer auf die Ausführungen von Dr. Nicola Schelling besonders gespannt, wie die Region mit wertvollem Boden umgeht, begrüßt Kreisvorsitzender Siegfried Nägele die Direktorin des Verbandes Region Stuttgart. Acker- und Grünland sind die Grundlage landwirtschaftlicher Betriebe, betont er. Und dieser wichtige Produktionsfaktor wird in städtischen Regionen immer knapper.
Die satte Gesellschaft nimmt die Bedeutung der Landwirtschaft kaum noch wahr, bedauert Nägele. In der Öffentlichkeit sei vieles negativ besetzt. Gleichzeitig jedoch bezeugt die Wissenschaft, wie gesund unsere Lebensmittel heute sind. Manche überregionalen Medien würden die unsachliche Kritik noch verstärken.
Dialog ist Austausch
„Dialog ist Austausch“, betont der Kreisvorsitzende, auch wenn dies manchmal schwer falle. „Landwirte sind Unternehmer und müssen Geld verdienen!“ Passen Ackerbau und Viehzucht nicht mehr zu modernen Menschen? Diese Frage stelle sich bei manchen Äußerungen in der Öffentlichkeit und in den Medien.
Ein Problem bestehe darin, dass Fachlichkeit teils gar nicht mehr gefragt sei! Die Kriterien zwischen Erzeugern und Verbrauchern seien oft unterschiedlich. Doch es gäbe auch Beispiele objektiver Berichte. Hieraus keime Hoffnung: „Wir müssen in der Öffentlichkeit aktiv bleiben“, meint Nägele und verweist auf die wichtigen Leistungen der Landwirtschaft für die Gesellschaft.
Flächenverbrauch nicht zu stoppen, aber einzudämmen
Der Flächenschutz werde im Landkreis Esslingen „sehr verantwortungsvoll wahrgenommen“. Das versichert Landrat Heinz Eininger. Schon immer befasse sich das Landratsamt mit der „Sandwichfunktion der Landwirtschaft zwischen Flächen geben und Ausgleich leisten“. Der Boden „spielt eine zentrale Rolle im Ökosystem und bildet unsere Lebensgrundlage“, betont er. Jeden Tag gehen bundesweit 73 ha verloren. Im Landkreis Esslingen waren es in den vergangenen 20 Jahren über 20.000 ha. „Monatlich fielen etwa 100 ha weg; das ist die Basis von drei landwirtschaftlichen Betrieben“, rechnet Eininger vor.
Der Landkreis setzt auf Zusammenarbeit mit den Landwirten. „Wir können den Landverbrauch nicht stoppen, aber eindämmen“, gibt sich der Landrat als Realist, „das ist eine große Herausforderung!“
„Beim Greening setzt das Ministerium im Land noch eins drauf“, meint Eininger unter Applaus der Landwirte, „das könnte bei uns auch lockerer gehandhabt werden. Wir müssen uns jedoch an die Vorgaben des Landes halten.“ Und weiter: „Wichtig ist es, nicht nur von Bürokratieabbau reden, sondern sich auch so verhalten, dass es tatsächlich zum Abbau kommt.“
Für den Wunsch nach dem Hagelflieger zeigt der Landrat Verständnis. Bisher gäbe es allerdings keinen wissenschaftlichen Nachweis für die Wirkung. So ist er froh, dass der Württembergische Gemeindeversicherungsverband die nächsten fünf Jahre dem Anliegen der Landwirte und Weingärtner Rechnung trägt und den Einsatz ermöglicht.
Die Diskussion über die landwirtschaftliche Nutztierhaltung zeige, so Eininger, das nach wie vor große Interesse an der Landwirtschaft. Er warnt vor der möglichen Verbreitung des Geflügelgrippe-Virus durch Wildvögel: „Wir können uns nicht sicher fühlen.“ Deshalb bittet er die Geflügelhalter um Wachsamkeit und Sorgfalt.
Grün – ein wichtiger Wohlfühlfaktor für die Stadt
„Wir stellen uns den Herausforderungen durch demografischen Wandel, Mobilität, Energiewende und Flächenverfügbarkeit. Wir alle wollen Wachstum und Wohlstand stabilisieren und steigern“, versichert Dr. Nicola Schelling. Auf lange Sicht sei die Infrastruktur in Metropolregionen austauschbar, im Gegensatz zur Kultur und Landschaft. „Das ist unsere Stärke. Das Grün ist ein wichtiger Wohlfühlfaktor für die Stadt. Wir tun gut daran, die Grünflächen zu erhalten“, unterstreicht die Direktorin des Verbandes Region Stuttgart.
Ziel der Region sei es, Wachstum und Fortschritt zu ermöglichen, aber auch den Bedürfnissen der Landwirtschaft Rechnung zu tragen. Zur Sicherung des Wachstums führe kein Weg an Neuausweisung von Siedlungsflächen vorbei. Aber genauso müssten Grünflächen erhalten bleiben: „Das ist eine große Herausforderung“, bekennt Schelling. Balance sei dabei wichtig. „Landwirtschaft und Weinbau profitieren von der Kaufkraft. Regionale Produkte stehen hoch im Kurs.“ Sie räumt allerdings ein, dass Metropolen immer auf Grundlage guter landwirtschaftlicher Standortbedingungen entwickelt wurden: „Wächst eine Region, dann ist fast immer die Landwirtschaft durch Flächeneinbußen betroffen.“
Innen- grundsätzlich Vorrang vor Außenentwicklung
Die klare Siedlungspolitik schütze Freiräume vor negativen Entwicklungen. So werde entlang von Siedlungsachsen entwickelt. Das reduziere den Verkehr und Emissionen. Flächen für Gewerbe und Infrastruktur würden reserviert und bewusst Freiräume erhalten. Aus dem Regionalplan entstünden so konkrete Handlungsvorgaben für die Kommunen. In regionalen Grünzüge würden nur in begründeten Fällen Ausnahmegenehmigungen erteilt. Durch Grünzüge und die kleinräumigeren Grünzäsuren als regionalplanerische Ordnungsinstrumente würden fast drei Viertel der Freiräume geschützt. In der Region entfallen rund 45 Prozent der Fläche auf Landwirtschaft, 30 Prozent auf Wald und gute 25 Prozent auf Siedlung. Wo Wachstum stattfinden könne, werde im Regionalplan ausgewiesen. Dabei habe Innen- grundsätzlich Vorrang vor Außenentwicklung.
Die Mittelzentren würden ebenfalls gestärkt. Dezentrale Einkaufsmöglichkeiten würden die Direktvermarkter unterstützen. Die Regionalplanung sei effizient und ausgeglichen, meint Schelling: „Wir machen einen guter Job.“ Einziger Wermutstropfen sei der Flächenverbrauch, welcher immer zulasten der Landwirtschaft gehe. Die Dynamik in der Region sei groß. Neue Firmen schafften Arbeitsplätze und Nachfrage, beispielsweise in Nähe der Neuen Messe in Stuttgart. Der Boom sei noch nicht vorbei. Das belegten auch die steigenden Übernachtungszahlen. Der Flughafen werde zur Verkehrsdrehscheibe ausgebaut. Das werde neue Interessen wecken und Investitionen auslösen.
Wachstumsregion mit steigenden Anforderungen an Freiraum
Die Region Stuttgart ist eine Wachstumsregion. Die Flächen sind begrenzt. Gleichzeitig steigen die Anforderungen an Freiraum, die Natur als Erholungsraum und die Umsetzung der Energiewende, fasst Schelling zusammen. „Das alles muss unter einen Hut gebracht werden.“ Die Regionalplanung bewirke, dass Baumaßnahmen auf den jeweils geeignetsten Standorten stattfinden. Trotz der dynamischen Entwicklung seien 80 Prozent der Fläche Freiraum. „Diese Bilanz ist für uns Ansporn, um die Wachstumsdynamik zum Wohl der ganzen Region zu erhalten“, erklärt die Regionaldirektorin.
Manche Diskutanten fürchten um ihre Existenz
In der regen Diskussion zeigen sich mehrere Landwirte von den Ausführungen Schellings enttäuscht. Sie habe Infrastrukturprojekte in höchsten Tönen gelobt und hielte dadurch den Wohlstand für gesichert. Die Existenz ihrer Betriebe sei jedoch bedroht. Einige meinen gar, sie müssten ihren Nachfolgern raten, auszuwandern.
Kreisvorsitzender Siegfried Nägele sieht die Landwirte als Verlierer: „Die Flächen von uns sind weg!“ Er versteht nicht, warum das Land Konversionsflächen „nicht für Ausgleichsmaßnahmen heranzieht“. An Schelling appelliert er, die kritische Einstellung der Landwirte zum Flächenverbrauch mitzunehmen.
Sie habe beides angesprochen, Prosperität und Freiraumsicherung, antwortet Schelling. Bei 80 Prozent Freiraum sieht sie kein starkes Ungleichgewicht. Die Regionaldirektorin versichert jedoch, die angeführten Bedenken und Anliegen mitzunehmen und in ihre Gespräche einzubringen.
Dank und Anerkennung für Teilnahme an ‚Gläserner Produktion‘
Über 20.000 Besucher nutzten 2014 die ‚Gläserne Produktion‘ zum näheren Kennenlernen der praktischen Landwirtschaft. Das sei „ein stattlicher Erfolg“, meint Landrat Heinz Eininger. Der Trend gehe zu regionalen Lebensmitteln. Es sei ihm ein großes Anliegen, den 44 teilnehmenden Unternehmen für ihr Engagement zu danken. Eininger und Dr. Reinhold Klaiber, der Leiter des Landwirtschaftsamts im Kreis Esslingen, sprechen Dank und Anerkennung aus und übergaben Urkunden für die erfolgreiche Beteiligung. „Nachhaltig gut - Landwirtschaft aus Baden-Württemberg“, heißt es darin.
Für sein Engagement um die Erklärung der Landwirtschaft gegenüber Schülern und anderen Besuchergruppen erhält der Betrieb von Traugott und Tobias Fetzer aus Aichwald das Schild ‚Lernort Bauernhof‘ überreicht. Eininger und Klaiber lobten das Engagement der Familie vom Neuwieshof.
Ebenso werden Absolventen der grünen Berufe und verdiente Ortsobleute geehrt. Urkunde und Präsent übergaben Kreisvorsitzender Michael Zimmermann und Geschäftsführerin Mirjam Schumacher.
Michael Zimmermann dankt abschließend allen Teilnehmern für ihr Kommen und ebenso allen Helfern und Mitwirkenden. Besonderen Dank spricht er an Regionaldirektorin Dr. Nicola Schelling, Landrat Heinz Einiger, Landwirtschaftsamtsleiter Dr. Reinhold Klaiber, der Landjugend Nürtingen, die mit tollen Tänzen das Programm bereicherte, und den Landfrauen Dettingen für die gute Bewirtung aus.
Region Stuttgart
Die Region Stuttgart besteht aus der Landeshauptstadt und den umliegenden fünf Landkreisen Böblingen, Esslingen, Göppingen, Ludwigsburg und Rems-Murr. In den 179 Kommunen der Region, eines der wirtschaftsstärksten Zentren Europas, leben 2,7 Millionen Menschen aus mehr als 170 Ländern. Das sind etwa so viele wie in Schleswig-Holstein mit seiner rund fünfmal so großen Fläche.
Autor: hk