Kreisbauerntag Esslingen 2018 in Deizisau
Essen fällt nicht vom Himmel
Deizisau (Landkreis Esslingen), Samstag, 27. Januar 2018
Essen fällt nicht vom Himmel
Gurr-Hirsch stellt sich beim Kreisbauerntag in Deizisau der Diskussion
Der „etwas andere Bauerntag" stellt die Diskussion, den Austausch miteinander, in den Vordergrund. Staatssekretärin Friedlinde Gurr-Hirsch stellt sich unter der Moderation von LBV-Pressesprecherin Ariane Amstutz den Fragen des Publikums.
Zukunft gibt es nur mit der Landwirtschaft!
Zukunft gibt es nur mit der Landwirtschaft! Diese Kernbotschaft fasst Vorsitzender Siegfried Nägele so zusammen:
- Erstens gibt es Naturlandschaft wohl nur ohne Menschen mit ihren Bedürfnissen wie Essen, Wohnen und Wärme.
- Zweitens fällt Essen nicht vom Himmel!
- Drittens entwickelt sich Landwirtschaft immer weiter.
„Sie haben bereits zahlreiche Impulse gesetzt und wichtige Herausforderungen der Landwirtschaft skizziert!", knüpft Gurr-Hirsch an Nägeles Eröffnung an. „Bis Mai werden die Pflöcke zu künftigen EU-Agrarpolitik eingeschlagen“, versichert die Staatssekretärin wie tags zuvor Minister Peter Hauk in Mühlacker-Enzberg (BWagrar 5/2018), an der Zwei-Säulen-Struktur festhalten zu wollen.
In den Medien in schlechtem Licht
Die Landwirtschaft stehe in den Medien in einem schlechten Licht, bedauert Gurr-Hirsch. Bei den Mitbürgern stünden die Bauern nach den Ärzten im Image jedoch ganz oben in der Ranking-Skala. Die Politiker dagegen ganz unten, was ihr zu schaffen mache, bekennt die Staatssekretärin.
Allerdings erfüllt die Landwirtschaft nach der Emnid-Studie 2017 aus Sicht der Bevölkerung lediglich das Kriterium der preisgünstigen Produktion. Die umwelt- und tiergerechte Produktion hält die Mehrheit der Befragten für nicht ausreichend erfüllt. Deshalb sei es dringend notwendig, das Image der Landwirtschaft zu verbessern, betont Gurr-Hirsch. Besonders wichtig sei es dabei, persönliche Kontakte vor Ort aufzubauen. Zudem würden die Leistungen der Bauern in den Bildungseinrichtungen, wie Kindergärten und Schulen, verstärkt thematisiert, betont sie.
Wichtige Kraft im ländlichen Raum
„Es ist ein Irrtum, Lebensmittel ausschließlich aus dem Ausland beziehen zu können“. Gurr-Hirsch hält eine zukunftsfähige Landwirtschaft in Baden-Württemberg für absolut notwendig. An der Landwirtschaft hängen mehr als rund 40.000 Höfe, verweist sie auf die gesamte Branche mit Ernährungsgewerbe, Industrie, Handwerk und Lebensmittelhandel.
„Die Bauernfamilien tragen zum Zusammenhalt in ländlichen Gemeinden bei. Landfrauen und Landjugend sind mit ihren interessanten Angeboten eine wichtige Kraft im ländlichen Raum“, erklärt die Staatssekretärin.
Harsche Kritik nicht gerechtfertigt
„Die unternehmerische Landwirtschaft ist heute notwendig und per se nicht schlecht. Sie muss sich im globalen Wettbewerb behaupten“, betont Gurr-Hirsch. „Schnitzel und Schweinemast wollen viele Leute, aber nicht in unserer Nachbarschaft!“ Die Kritikliste an der Landwirtschaft sei lang. „Die Landwirtschaft in Baden-Württemberg hat diese harsche Kritik in keiner Weise verdient", erklärt sie unter kräftigem Applaus.
Die Bauern wollten ihre Familienbetriebe an die nächste Generation weitergeben. Das sei die beste Gewähr für boden- und umweltschonende Bewirtschaftung. „Bad news are good news! Keiner redet in vielen Medien von ordentlich wirtschaftenden Bauernbetrieben", bedauert die Staatssekretärin. Imagekampagnen seien deshalb wichtig, reichten allein aber nicht. Moralische Vorwürfe wie „Tierquäler und Giftmischer“ sollten in gleicher Art erwidert werden. „Gegen Moral hilft nur Moral!"
Mehr bezahlen, regional kaufen
Die Mitbürger sollten wissen: „Ohne Landwirtschaft gibt es keine Lebensmittel, Landschaftspflege, Klima-, Tier-, Umweltschutz, Beitrag zur Energie, Bereicherung des Lebens auf dem Land“, beschreibt Gurr-Hirsch die vielfältigen Aufgaben und Leistungen moderner Landwirtschaft. Es gelte, den Verbrauchern klar zu machen, Landwirte verdienen immer noch zu wenig Geld. Der Strukturwandel hält an. Oft fehlen Hofnachfolger, weil die Wirtschaftlichkeit nicht stimmt.
„Wenn die Verbraucher gesunde, hochwertige Lebensmittel wollen, dann müssen Sie mehr bezahlen, wenn sie die Kulturlandschaft genießen möchten, dann sollten Sie regional einkaufen“, betont die Staatssekretärin. Deshalb habe das Ministerium 2017 die Kampagne „Natürlich von daheim“ ins Leben gerufen.
Der Kritik sachlich stellen
Auf dem Sofa kritisieren, sei leicht, einen Bauernhof erfolgreich am Markt führen, ungleich schwerer. Allerdings sollten die Bauern nicht denselben Fehler wie viele Kritiker der Landwirtschaft machen und jede Kritik in Wagenburgmentalität abwehren, sondern Anregungen aufnehmen und Missstände ansprechen.
„Pauschalkritik und Pauschalverteidigung helfen nicht weiter“, zieht Gurr-Hirsch das Fazit. Es sei wichtige Aufgabe, die Verbraucher von der Arbeit der Bauernfamilien zu überzeugen. Den Kritikern ruft sie zu: „Steigt endlich runter vom hohen Ross!“. Die versammelten Bauern ermuntert sie, an die Öffentlichkeit zu gehen und sich der Kritik mit sachlichen Argumenten zu stellen.
Überleben in der Savanne
„Wenn man schnell losgehen will, dann sollte man alleine gehen. Wenn man weit kommen will, dann sollte man gemeinsam gehen.“ Mit diesem afrikanischen Sprichwort verdeutlicht Siegfried Nägele zu Beginn des Kreisbauerntages die Bedeutung der Arbeit des Kreisbauernverbandes.
Der Kreisvorsitzende – Nägele bildet gemeinsam mit Tobias Briem die Doppelspitze des Kreisverbandes Esslingen – erinnert an die schlechten Märkte im vergangenen Jahr, die Wetterextreme und umfangreichen Ertragsausfälle infolge der Nachtfröste. Das Wettergeschehen zeige, Ordnungsrecht wie Fristen bei der Dünge-Verordnung, Ansaat- und Schnitttermine per Gesetz, sei „kein geeignetes Instrumentarium, um Landwirtschaft zu steuern, Umweltbelastungen zu verringern und Zukunft zu gestalten.“
Mehr Forschung, weniger Auflagen
Ganz ohne Vorgaben gehe es sicherlich nicht. „Aber so, wie es derzeit ausufert, taugt es nicht, um unsere Betriebe betreiben und unsere Wirtschaftsweise weiterentwickelnzu können. Im Gegenteil! Mit jeder neuen Auflage forciert die Politik den Strukturwandel, gerade auch in der Nutztierhaltung!“
Auflagen, die Kosten und Investitionen nach sich ziehen, könnten sich viele kleinere und mittlere Betriebe nicht leisten, gibt Nägele zu bedenken. „Wir brauchen stattdessen Wissenschaft, Forschung und praktikable Entwicklungen für Familienbetriebe“, erläutert er.
Markt zahlt nicht Kosten der Auflagen
„Ausgleichszahlungen nur für öffentliche Leistungen.“ Wer das fordere, verkenne völlig: „Wir Landwirte erbringen schon lange öffentliche Leistungen, unsere Produktionsstandards, Tierhaltungsstandards, Sozial-und Umweltstandards verursachen Kosten. Die zahlt uns der globale Markt nicht!“, erklärt Nägele.
Bei der Importware spiele es zum Beispiel keine Rolle, wie weit der Gewässerabstand sei und wie stark die Abdrift gemindert werde.
Planungs- und Baurecht modernisieren
Jeder spreche von der Verringerung des Flächenverbrauchs, stellt Nägele fest. „Und doch planen und bauen wir wie vor 50 Jahren“, kritisiert er. Es gebe durchaus gute Ansätze in den Gemeinden, was zu loben sei. „Aber die Stimmung insgesamt ist einfach noch viel zu altmodisch“, meint der Kreisvorsitzende.
Nägele verweist auf den historischen Pferdestall in Esslingen, in den Pferde auf zwei Geschossen eingestellt wurden. Und so plädiert er für modernes Planungsrecht und neue Bauweisen, die mehrgeschossige Gebäude und bessere Nutzung der Grundfläche ermöglichen.
Autor: hk