Die Rückkehr der Wölfe
Unerwünschter Neubürger
Die Angst geht um bei den Schafhaltern. Vieles spricht dafür, dass Wölfe wieder heimisch werden im Südwesten. Was Naturschützer freut, lässt Schäfer verzweifeln. Abhilfe schaffen soll ein vom Landesschafzuchtverband initiiertes Projekt, bei dem spezielle Schutzzäune und Herdenschutzhunde eine gewichtige Rolle spielen.
Die Schwäbische Alb könnte nicht schöner sein an diesem warmen Spätsommertag: Auf den Wachholderheiden entlang der Straße glänzen Silberdisteln und Karthäusernelken in der Sonne, Kalksteinfelsen, spitz und kantig, markieren den Albtrauf. Karg und rau ist die Landschaft, mit mageren Böden und mageren Ernten von Wiesen und Feldern. Kein Wunder, dass es hier mehr Schafe als Kühe und Schweine gibt, die Alb schon immer eine Domäne der Wander- und Koppelschäfer ist.
Die Schafe, die unweit von Gächingen, einem Teilort von St. Johann, auf der Weide im Schatten stehen und gemütlich grasen, gehören Siegbert Lamparter. Seit 25 Jahren züchtet der 57-jährige Schäfermeister Schafe. Er schwört auf die Fleischrasse Texel. Die hellbeigen, muskulösen Tiere seien einfach zu halten, genügsam und lieferten gute Fleischqualitäten, ohne dass man die Lämmer dafür mit Kraftfutter mästen muss.
Eigentlich eine prima Sache, die Lamparter mit Passion betreibt, die ihn ausfüllt, wie er sagt, wären da nicht die anhaltenden Diskussionen, auf der Alb und im Schwarzwald wieder Wölfe anzusiedeln. Mit dem Engagement von Natur- und Umweltschützern kann der Züchter, der 80 Mutterschafe, 20 Jährlingsschafe und zwei Böcke hält, nur wenig anfangen. „Der Wolf hat hier keinen Platz. Wir haben schon genug Probleme mit Kolkraben und der ausufernden Bürokratie“, gibt er empört von sich und fügt hinzu: „Ich will Schafe züchten, kein Wolfsfutter bereit halten.“
Praktikable Lösungen gefragt
Für Dr. Markus Rösler, naturschutzpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Stuttgarter Landtag, eine aus Schäfersicht nachvollziehbare Reaktion. Dennoch warnt der Landschaftsökologe davor, Wölfe wahlweise zu verklären oder deren Vorkommen zu dramatisieren. In Deutschland leben inzwischen wieder 35 Rudel mit rund 300 Tieren, vor allem in großen Naturschutzgebieten in Brandenburg und Niedersachsen. Hierzulande rechnet Rösler nicht mit einer starken Verbreitung des Rudelraubtieres. „Dazu ist unser Land zu dicht besiedelt“, machte er beim Jahrestreffen der Schäfer im April in Glemseck deutlich. Dass die Wölfe nach 150 Jahren, in denen sie im Südwesten als ausgerottet galten, wieder zurückkehren, steht für Rösler dagegen fest. Ein Übertrittsgebiet könnten die nahegelegenen französischen Vogesen oder die Schweiz sein, aus dem die Wölfe ins Land einwandern. Eine Einschätzung, die sich Anfang Juli mit dem Fund eines überfahrenen Wolfes an der Autobahn 5 in Lahr zum ersten Mal bewahrheitet hat. Das Jungtier stammte aus der Schweiz.
Lebensräume bieten den Tieren im Südwesten der südliche Schwarzwald, einige Regionen in Ostwürttemberg und „womöglich auch der dicht besiedelte Landkreis Reutlingen“, schätzt Rösler. Umso wichtiger sei es, das betonten der Naturschutzexperte und Dr. Andre Baumann vom Naturschutzbund Baden-Württemberg auch vor den aufgebrachten Schäfern in Glemseck, nach Lösungen zu suchen, mit denen Schäfer und Wolfsbefürworter in Zukunft leben können. Ziel sei ein möglichst konfliktarmes Miteinander von Schafhaltern und Wölfen. Einen Weg dorthin könnte das vom Stuttgarter Agrarministerium mit dem Landesschafzuchtverband ausgelotete Schafschutzprojekt aufzeigen, das im Herbst an den Start geht.
Mit von der Partie: Siegbert Lamparter, der seit 20 Jahren für eine Weidezaunfirma professionell Zäune baut, und deshalb als Fachmann für ausbruchssichere und im Fall von Wolfsattacken einbruchssicheren Weidezäunen gefragt ist. Doch auch die unter Strom gesetzten Zäune bieten nach Ansicht Lamparters keinen hundertprozentigen Schutz vor den Raubtieren. Der Grund: 95 Prozent der Elektrozäune, hinter denen die Schafe grasen, versagen im praktischen Einsatz.
Schutzzäune scheitern an Erdung
Nicht, weil die Schutznetze per se nicht funktionieren. Probleme bereiten hochwachsendes Gras an den Zäunen und lange Zaunstrecken. Und eine mangelhafte Erdung. „Dann kommen die erforderlichen 3000 Volt auf dem Zaun nicht an. Die Schlagstärke, damit das Tier vom Zaun wegbleibt, fällt in solchen Fällen zu gering aus“, erläutert Lamparter. Er rät deshalb zu Weidezaungeräten mit zwölf, anstatt den üblichen neun Volt. Solche Geräte kommen mit Grasaufwuchs und langen Zaunstrecken besser zurecht und liefern – vor¬ausgesetzt sie sind entsprechend geerdet – die nötige Schlagstärke. „Wenn die Erdung schlecht ist, bekommt der Wolf keinen Schlag ab, egal wie viel Volt auf dem Zaun sind“, gibt Lamparter zu bedenken. Dann sind die Schafe dem Raubtier hilflos ausgesetzt.
Noch hütesicherer wird der Zaun, wenn anstatt eines reinen Edelstahlzaunes, eine Kombination aus Kupfer und Nitrostahl zum Einsatz kommt. „Die beiden Materialien leiten den Strom 40-mal besser als Edelstahl“, berichtet der Zaunbauer von seinen Erfahrungen. In Zahlen ausgedrückt: Hinter solch einem Zaun sind die Schafe in 60 Prozent der Fälle vor einer Wolfsattacke sicher. Keine Rolle spielen dagegen die Höhe des Zaunes oder Flatterbänder, die oberhalb des Weidenetzes montiert werden. „Ein Wolf müsste dann an das Netz und Flatterband kommen, um einen Schlag zu bekommen. Das ist unrealistisch.“
Der Wolf war zu früh da
Sehr realistisch ist hingegen die Bedrohung geworden. Der in Südbaden überfahrene Jungwolf beweist, dass die Tierhalter im Land keinen Hirngespinsten hinterherlaufen. „Die Schäfer sind natürlich stark beunruhigt“, fasst Anette Wohlfarth, Geschäftsführerin des Landesschafzuchtverbandes und damit Vertreterin von rund 700 Schafhaltern in Baden-Württemberg, die aktuelle Stimmung zusammen. Denn: „Im Moment haben wir kein hundertprozentig funktionierendes Herdenschutzprogramm in Baden-Württemberg.“ Und das Herdenschutzprojekt steht gerade erst in den Startlöchern, erste Ergebnisse sind bis in zwei Jahren zu erwarten. „Der Wolf war einfach zu früh da“, sagt Wohlfarth.
Doch, warum braucht Baden-Württemberg ein eigenes Schutzprogramm? In Brandenburg oder Niedersachsen sammeln die Schäfer seit vielen Jahren Erfahrungen im Umgang mit dem Wolf. Die Verhältnisse im Land seien ganz anders als in den restlichen Bundesländern, erklärt die Verbandschefin. Neben der anderen Geografie führt sie vor allem die landestypische Wanderschäferei ins Feld. So soll in dem Projekt außer den Zaunsystemen vor allem getestet werden, wie Hütehund und Herdenschutzhund miteinander funktionieren. Da Baden-Württemberg im Gegensatz zu anderen Gegenden Deutschlands relativ dicht besiedelt ist, muss ihrer Ansicht nach zudem geprüft werden, wie Herdenschutzhunde auf Spaziergänger mit Hund reagieren.
Darauf ist auch Herbert Schaible gespannt. Der Schäfer aus Aidlingen-Dachtel im Kreis Böblingen wird Anfang Oktober zwei der geplanten vier Projekt-Testhunde in Empfang nehmen. Vor einigen Tagen hat er sie gemeinsam mit Anette Wohlfarth beim Züchter in Brandenburg begutachtet und sich erste Tipps für den Umgang geholt. Schaible, der selber Schäferhunde züchtet und ausbildet, weiß, dass er jetzt einiges neu lernen muss. „Herdenschutzhunde reagieren anders als Hütehunde“, erklärt er, „sie haben keinen Grundgehorsam.“ Zwar seien die ausgewählten Pyrenäenberghunde brandenburgerischer Herkunft auf den Menschen sozialisiert, doch hörten sie nicht auf gängige Befehle. Ihre Kommandostelle ist die Schafherde, in der sie Tag und Nacht leben und die sie gegen Eindringlinge verteidigen sollen.
Schutzhunde machen mehr Arbeit
Als Eindringlinge sehen die Schutzhunde im Übrigen auch die Hütehunde – mit entsprechenden Folgen für die Arbeit des Schäfers. Ein hinkendes Schaf einfach schnell mit Hilfe der Hunde einfangen und behandeln, das wird in Zukunft nicht mehr gehen, vermutet Schaible. Stattdessen wird er zunächst die Schutzhunde von der Herde trennen und einsperren müssen, bevor er mit den anderen Hunden zwischen die Tiere kann. Das bedeutet aber auch, dass er auf der Koppel einen Zwinger oder Anhänger zum Wegsperren der Herdenaufpasser braucht.
Die Frage wird sein, wie stark das Abwehrverhalten der Schutzhunde gegen die eigenen Hunde tatsächlich ist, sagt Schaible. Neugierig ist der 50-Jährige auch darauf, wie schnell die Schafe lernen, dass „Hund nicht gleich Hund“ ist. Darüber hinaus interessiert ihn aber vor allem, wie viel zusätzliche Arbeit auf ihn zukommt. So ist schon die Fütterung der Pyrenäenberghunde aufwendiger, weil sie zweimal am Tag draußen auf der Weide stattfindet. Zudem brauchen die Schafbewacher Wasser und laut Tierschutzgesetz auch einen Unterschlupf zum Schutz gegen Wind und Wetter. „Mal sehen, wie Spaziergänger reagieren, wenn sie die Hunde auf der Winterweide im Schnee liegen sehen“, meint Herbert Schaible. Seinen Erfahrungen zufolge ist allerdings ziemlich sicher mit empörten Anrufen von besorgten Tierfreunden zu rechnen.
Der professionelle Mutterschafhalter aus dem Gäu hat damit grundsätzlich kein Problem. Er ist geduldig genug, den Anrufern dann das Wieso und Warum zu erklären. Dennoch würde er sich gerade in Sachen Wolf mehr öffentliches Verständnis für die Sorgen und Nöte seiner Zunft wünschen. Seiner Meinung nach muss ein Umdenken in der Gesellschaft stattfinden, wenn es allgemeiner Wille ist, dass der Wolf auch im Südwesten wieder heimisch wird. „Es kann nicht sein, dass Wölfe alles dürfen und wir Schäfer mit unendlichen Vorschriften schikaniert werden“, sagt er mit Nachdruck. An der Rückkehr des Raubtieres hat er keine Zweifel. Es sei auch in Baden-Württemberg trotz dichter Besiedelung genügend Platz.
Staat muss Kosten übernehmen
Und dann ist da noch die ungelöste Frage, wer die Kosten für die Wolfschutzmaßnahmen und den Mehraufwand übernimmt. Schaible hat überschlagen, dass ihn ein Herdenschutzhund inklusive des Anschaffungspreises von 3500 Euro in der Summe rund 10.000 Euro kosten würde. Mit einem Aufpasser ist es allerdings nicht getan. In Brandenburg werden zwei bis drei Hunde pro Herde eingesetzt. Für Schaible heißt das, dass er für seinen Betrieb mit etwa 500 Mutterschafen, die in zwei bis vier Gruppen aufgeteilt sind, sechs bis neun Hunde braucht. Außerdem müsste er zusätzlich seinen Offenstall für die Lämmeraufzucht, der abseits der anderen Betriebsgebäude in der freien Landschaft steht, für geschätzte 150.000 Euro mit Elektrozäunen wolfsicher machen.
Nach Überzeugung des Landesschafzuchtverbandes dürfen die Kosten für Präventionsmaßnahmen auf keinen Fall bei den Schäfern hängenbleiben. „Unsere Meinung ist“, erklärt Geschäftsführerin Wohlfarth, „dass die Leute, die den Wolf wollen, auch für die Kosten aufkommen sollen.“ Dringend geregelt gehört außerdem die Haftpflichtfrage. „Die Schuld darf nicht beim Schäfer liegen, wenn eine Herde bei einem Wolfübergriff zum Beispiel auf eine befahrene Straße flüchtet“, unterstreicht sie.
Autor: pa, ja, koe