Haushaltskommissar Oettinger bei den LBV-Delegierten
Europa muss uns etwas wert sein
EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger nutzte die LBV-Mitgliederversammlung zu einem eindringlichen Plädoyer für eine starke europäische Politik- und Wertegemeinschaft. Bauernpräsident Rukwied bot er seine weitere Gesprächsbereitschaft zur Ausgestaltung und Finanzierung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) an.
Für EU-Haushaltskommissar Oettinger steht derzeit nichts weniger als die Europäische Union als Ganzes auf dem Spiel. Grund sind vor allem nationale Egoismen, die aktuell besonders in der Einwanderungspolitik sichtbar werden. Dabei mache auch Deutschland alles andere als eine gute Figur. „Die Bundesregierung droht zu kollabieren“, warnt Oettinger, und kritisiert einen „geradezu unterirdischen Umgangston“ zwischen den Schwesterparteien CDU und CSU. Gerade aber die großen europäischen Nationen wie Frankreich und Deutschland müssten angesichts der globalen Herausforderungen handlungsfähige Regierungen haben.
Für ein starkes Europa mit gemeinsamer Agrarpolitik
Die EU müsse sich als starke Gemeinschaft und Gegengewicht gegen Autokraten wie in Russland und der Türkei oder Protektionisten wie in den USA zur Wehr setzen. Nur ein starkes Europa, so Oettinger, sei ausreichend handlungsfähig. In diesem Zusammenhang dankte er Präsident Rukwied, der als deutscher und europäischer Bauernpräsident mit seiner Absage an eine Renationalisierung der EU-Agrarpolitik für eine starke und zukunftsfähige europäische Wertegemeinschaft eintrete.
Der Haushaltskommissar warb bei den Delegierten für seine Pläne zum Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) der EU für die Jahre 2021 bis 2027. Demnach soll durch höhere Beiträge der Mitgliedsländer und Einsparungen, unter anderem im Agraretat, die Haushaltslücke aufgrund wegfallender Gelder des bisherigen Nettozahlers Großbritannien einerseits sowie neuer Aufgaben, beispielsweise in Forschung, Migration, Grenzsicherung und Verteidigung andererseits, geschlossen werden.
Höherer Beitrag und maßvolle Kürzung
Oettinger forderte die Bundesregierung auf, ihre Zusage aus dem Koalitionsvertrag für einen höheren Beitrag nach Brüssel einzuhalten und für einen stabilen EU-Haushalt einzutreten. „Sollte uns Europa nicht etwas mehr wert sein“, fragte Oettinger, der sich damit auch gegen Abgrenzung und egoistische nationale Interessen wandte. Für ihn bleibt die Agrarpolitik neben der Friedenssicherung die wichtigste Klammer Europas. Gleichzeitig räumte er ein, dass „wir um eine gewisse Kürzung des Agrarhaushalts nicht herumkommen“. Die Einbußen bezifferte er auf „knapp vier Prozent bei den Direktzahlungen und etwas mehr in der Zweiten Säule“. Vorgesehen seien eine „maßvolle Degression“ sowie eine Kappungsgrenze, wobei er das geplante Ausmaß als „Diskussionsgrundlage“ bezeichnete. Positive Aspekte seien einfachere Ausführungsbestimmungen mit nennenswerten Verbesserungen bei Antragstellung, Abrechnung und Kontrolle.
Beim Zeitrahmen drückt Oettinger aus gutem Grund aufs Tempo. Er spricht sich dafür aus, nach konstruktiven Verhandlungen im zweiten Halbjahr 2018 die notwendigen Beschlüsse zum Mehrjährigen Finanzrahmen und zur GAP-Reform im ersten Halbjahr 2019 und damit noch vor der Europawahl zu fassen. Die Landwirtschaft brauche Sicherheit und die erreiche man nur, wenn die neue GAP ab 2020 umgesetzt werden könne. Erziele man keine Ergebnisse vor der Europawahl, drohe 2020 zu einem verlorenen Jahr für die Landwirtschaft zu werden. Er biete seine Gesprächsbereitschaft an, versicherte Oettinger in Richtung Präsident Rukwied. Die beste Basis sei die Bereitschaft der Mitgliedsländer, „ihr Staatssäckel für eine Beitragserhöhung zu öffnen“.
Autor: ebe