LBV-Mitgliederversammlung
In Zeiten des Umbruchs
Es steht derzeit nicht zum Besten zwischen den beiden“, stellt Dr. Andreas Möller im Bezug auf die Gesellschaft und die Landwirtschaft fest. Der in Rostock geborene Buchautor, hat in seiner Kindheit noch dörfliches Leben erfahren und kennt den harten Alltag der Landwirtschaft. Er stellt aber klar, dass er damit einer der wenigen in der deutschen Bevölkerung sei. Dies sei übrigens kein deutsches Phanömen, sondern in den Industriestaaten weit verbreitet.
Bei einem Test unter Schulkindern im Jahr 2001 konnten in Hannover gerade noch 17 Prozent ein Nutztier zeichnen. Zum Vergleich: Im afrikanischen Nairobi, einem Entwicklungsland sind es 85 Prozent. Nicht nur Kinder sondern auch Erwachsene sind zunehmend entfremdet. Dies sei eines der Kernprobleme, warum Landwirtschaft am Pranger steht. In einer Zeit, in der der technische Fortschritt kaum mehr greifbar ist, wünscht man sich eine heile, greifbare Welt. Das heißt die Sehnsucht nach Naturnähe sowie Beständigkeit und Kontinuität ind er Bevölkerung wächst. Der Wähler entscheidet sich derzeit daher vor allem für das Unterlassen der neuen Technologien ist. Damit ein bisschen Beständigkeit erhalten bleibt. So hätten Behauptungen, „die einfach mal in den Raum gestellt werden“, wie Möller sagt, eine Chance in der Politik diskutiert zu werden - ohne jede Sachlichkeit.
Für die Akzeptanz einer Technologie ist es nicht entscheidend, was rational erkennbar ist. "Wir müssen Dinge erleben und Spüren", sagt Möller. Erst dann entsteht Akzeptanz und sagt: Solange ein Journalist eine Getreidekrankheit nicht gesehen hat, wird er Pflanzenschutz nicht verstehen und warum er nötig ist.
Der Fortschrittsbegriff sei bisher technisch-naturwissenschaftlich geprägt gewesen. Heute ist er eine soziale Kategorie geworden. Daher ist es für die Mehrheit des Volkes kein Fortschritt, wenn eine Firma sagt, dass man mit einem Produkt fünf Prozent mehr erzielen kann. „Ertragssteigerung ist kein Ziel mehr“, stellt Dr. Möller klar.
Um das Bild der Landwirtschaft wieder näher an die Realität zu bringen, helfen nach seiner Meinung keine anonymen Werbekampagnen. Eine neue Kommunikation sei gefragt und gibt Tipps:
- Wir brauchen positive Geschichten, die die Vielfalt der deutschen Landwirtschaft zeigen, das reale ländliche Leben.
- Wir brauchen die Personalisierung der Tätigkeit. Themen müssen emotionalisiert werden mit realen Gesichtern. Menschen, die hin stehen und sagen: Hier bin ich und das mache ich.
- Wir brauchen in der Kommunikation mehr Robustheit. Wenn man nach außen tritt ist Mut, Selbstironie und Humor nötig. Dinge nicht stehen lassen, sondern reagieren. Wenn in der lokalen Presse ein Bericht ist anrufen und anbieten, die Gegendarstellung mit Gesicht zu liefern.
Rukwied skizziert Wandel und Herausforderungen
„Wir leben in Zeiten des Umbruchs. Wirtschaft, Politik und Gesellschaft verändern sich. Wir Landwirte sind offen für Neuerungen und bereit, zur Lösung der Zukunftsfragen beizutragen.“ Das betonte Präsident Joachim Rukwied auf der Mitgliederversammlung des Landesbauernverbandes (LBV) am 18. Juni 2019 in Fellbach (Rems-Murr-Kreis). Die mehr als 300 Delegierten und Gäste unterbrechen seine engagierte Ansprache immer wieder mit kräftigem Beifall.
Rukwied sieht politisch instabile Zeiten und verweist auf das Ergebnis der Europawahl Ende Mai. Die zunehmende Polarisierung bereitet ihm Sorge, bekennt der Bauernpräsident in der Schwabenlandhalle in Fellbach bei Stuttgart. Der Globalisierungstrend setze sich nicht mehr fort, kommt er auf die Umbrüche im wirtschaftlichen Bereich zu sprechen. Gerade für Deutschland mit seiner exportstarken Wirtschaft sei die Globalisierung bisher durchaus von Nutzen gewesen.
„Ich wünsche mir einen anderen Umgang der Politik mit uns Landwirten, kein Bauern-Bashing.“
Klimawandel und Umweltschutz seien „globale Herausforderungen für die Menschheit“, erklärt Rukwied: „Artenschutz nehmen wir ernst. Wir müssen und wollen uns gemeinsam mit allen Bürgern diesen Themen stellen. Wir müssen uns von einseitigen Schuldzuweisungen lösen“.
In den vergangenen Jahrzehnten sei die Zahl der Arten um rund 80 Prozent zurückgegangen, zitiert Rukwied aus Untersuchungen. Die Landwirtschaft habe dazu sicherlich beigetragen. Notwendig sei es jedoch, Ursache und Wirkung zu analysieren, verweist er auf das starke Wachstum der Weltbevölkerung.
Auseinanderdriften von Stadt und Land
Das Auseinanderdriften urbaner Zentren und ländlicher Räume bereitet dem Bauernpräsidenten Sorge. Allein in Baden-Württemberg hätten die Bauernfamilien Blühstreifen und -flächen von mehr als 16.000 Hektar angelegt. Das sei bisher von der Gesellschaft nicht oder kaum gewürdigt worden, bedauert er. Die Menschen hätten in den vergangenen Jahrzehnten ihre Mobilität deutlich gesteigert. Der Energiebedarf sei gestiegen. Solche Aspekte gelte es, in Diskussionen um die Biodiversität einzubringen.
„Beim Klimaschutz und bei der Biodiversität tun wir Landwirte bereits sehr viel. Das rufe ich der Politik zu. Ab und an etwas Lob dafür wäre hilfreich.“
Der Deutsche Bauernverband (DBV) habe sich bereits 2010 und aktualisiert 2018 in seinem Dossier „Klimaschutz 2.0“ Ziele gesetzt und Vorschläge gemacht. Die Landwirtschaft sei bereit, ihren Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Ziel sei die Klimaneutralität. Er als Praktiker setze dabei auf schrittweises Vorwärtskommen. Vielfältige Fruchtfolge und Zwischenfruchtmischungen seien heute selbstverständlich: „Da tun wir Landwirte bereits sehr viel. Das rufe ich der Politik zu. Ab und an etwas Lob dafür wäre hilfreich“, meint der Präsident des Landesbauernverbandes.
Volksbegehren Artenschutz mit Risiken
Über das Volksbegehren Artenschutz „Rettet die Bienen“ hat BWagrar informiert. Seitens des Bauernverbandes ist keine Gegenaktion geplant. „Für den Schutz der Bienen tun die Landwirte bereits sehr viel, auch die Landesregierung. Baden-Württemberg ist hier im bundesweiten Vergleich ein Musterland. Insofern ist es schon verwunderlich, eine solche Initiative im Südwesten zu ergreifen“, meint Rukwied. Zumal der Bauernverband Risiken sieht. Maßnahmen zum Insektenschutz können nämlich nicht mehr staatlich gefördert werden, wenn sie gesetzlich vorgeschrieben sind.
Übergangslösung bei der Gemeinsamen Agrarpolitik gefordert
Hinsichtlich der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) spricht sich Rukwied als „erste Kernforderung“ für Übergangslösungen aus. Diese Übergangsphase sei ohne Kürzungen im Budget zu gestalten: „Wir Bauern brauchen Verlässlichkeit und Planungssicherheit“, fordert er. Der Budgetvorschlag von EU-Haushaltskommissar Günther H. Oettinger sei diskussionsfähig, die Kürzungen jedoch nicht akzeptabel.
Die künftige EU-Agrarpolitik „wird grüner sein, ob es uns passt oder nicht. Wir nehmen die Herausforderungen an und versuchen so mitzugestalten, dass die Maßnahmen in die Produktion integrierbar sind.“ Durch die Ausgestaltung der Ersten Säule mit Umweltmaßnahmen dürften die Programme der Zweiten Säule nicht gefährdert werden.
Hinsichtlich der Belastung des Grundwassers mit Nitrat sei in den stark belasteten Gebieten gegenzusteuern, meint er. „Wasser hat ein langes Gedächtnis“, weiß der Praktiker. Seit Novellierung der Dünge-Verordnung vor erst eineinhalb Jahren „hätte die Politik uns mehr Zeit lassen sollen“, kritisiert er.
Bereit zu Veränderungen
In der Nutztierhaltung sei die Landwirtschaft „bereit zu Veränderungen. Diese dürfen jedoch die Betriebe nicht gefährden. Das würde nur zum Export der Tierhaltung führen“, erklärt Rukwied.
Im ökologischen und konventionellen Ackerbau gehe es nicht ohne Pflanzenschutzmittel, betont der Bauernpräsident. Für ihn steht das Ziel nicht infrage, den Aufwand zu reduzieren und dabei moderne Technik einzusetzen. Allerdings sei in der Politik auch mehr Realitätssinn bei der Zulassung notwendig. So sei es sicherlich in der Regel nachhaltiger, eine Saatgutbehandlung durchzuführen als zwei- oder dreimal mit einem Insektizid zu behandeln. „Wir müssen hier wieder offener für nachhaltige Lösungen sein“, fordert Rukwied.
„Wir brauchen Offenheit für Innovationen, damit wir die Zukunftsfragen lösen können.“
Bei der Grundsteuer sieht Rukwied die Aufkommensneutralität als gefährdet an. Zudem befürchtet er durch die eventuell kommende separate Bewertung zusätzlichen Aufwand für die Finanzämter und die landwirtschaftlichen Betriebe. Sehr kritisch beurteilt er das geplante Vorgehen, Betriebsleiter-Wohnungen nach dem Verkehrswert zu besteuern.
Foodtrends beobachten
Ungefähr 85 Prozent Marktanteil im deutschen Lebensmitteleinzelhandel liegt in der Hand der vier größten Unternehmen. „Das belastet uns als Bauern“, erklärt Präsident Joachim Rukwied. Hier sei die Politik gefordert, gegenzusteuern.
„Wir müssen die Trends in der Ernährung beobachten“, verweist er auf die zunehmende Zahl an Fleischersatzprodukten und zugleich das Schwerpunktthema im diesjährigen Geschäftsbericht des Landesbauernverbandes (LBV). Im dortigen Vorwort bekennt sich Rukwied zu Fleisch als ein Stück Lebenskultur: „Dazu stehe ich, dafür und für regionale Produkte werbe ich“, betont der LBV-Präsident.
Bereit für neue Wege
Den Landwirten sei das Generationsdenken in die Wiege gelegt, meint Präsident Rukwied. Zugleich gelte es, nach vorne zu schauen. „Wir sind offen für Innovationen“, appelliert er an Politik und Gesellschaft, diese Offenheit für Neuerungen zu erhalten, damit die Zukunftsfragen gelöst werden könnten.
Dafür will sich Rukwied weiter einsetzen. Er fordert mehr Wertschätzung für die Bauern, damit junge Leute diesen Beruf auch zukünftig ausüben. „Wir Landwirte sind bereit, neue Schritte zu gehen und weiter Garant für die Lebensmittelversorgung zu sein. Lassen Sie uns gemeinsam dafür arbeiten.“
Jubiläums-Hauptfest mit Rekord
210.000 Besucher, 600 Tiere und neun Tage: Das landwirtschaftliche Hauptfest im vergangenen Jahr war ein voller Erfolg, stellte LBV-Geschäftsführer Peter Kolb im Geschäftsbericht fest. Er erinnerte an die Anfänge des 200 Jahre alten Festes und stellte die Verbindung zu heute her. "Ich würde mir wünschen, das manche politischen oder gesellschaftlichen Entscheidungsträger etwas mehr von der Innovationskraft des damaligen Königspaares hätten", so Kolb.
„Wir sind anders, wir sind bäuerliche Familienbetriebe, da passen die Strukturen noch zusammen“, erklärte Landwirtschaftsminister Peter Hauk in seinem Grußwort, als Reaktion auf die Forderungen, die aktuell im Volksbegehren Artenschutz diskutiert werden. Er ruft den Berufsstand auf, keine Antistimmung aufzubauen, sondern sachlich mit den anderen Parteien zu diskutieren und Kompromisse einzugehen.
Autor: Silvia Rueß, Dr. Heiner Krehl