Bauerntag Schwäbisch Hall-Hohenlohe-Rems 2018
Hoffnung für die Ernährung der Welt
Winnenden (Rems-Murr-Kreis), 16. Februar 2018
Hoffnung für die Ernährung der Welt
Göttinger Ökonom Qaim: Mit produktivem, nachhaltigem Landbau kann es gelingen
Um die Welternährung zu sichern, ist es wichtige Voraussetzung, neue Technologien zu entwickeln, welche es ermöglichen, zukünftig weltweit Landwirtschaft produktiver und nachhaltiger als bisher zu betreiben. Ferner gilt es, die gesellschaftlichen Herausforderungen zu bestehen. Darunter versteht Ökonomie-Professor Matin Qaim
- die Sensibilisierung der Bevölkerung für globale Zusammenhänge und
- das „Überwinden von falschen romantischen Vorstellungen“.
Selbst kritikfähig sein
„Der Agrarsektor selbst muss kritikfähig sein“, betont Qaim. „Wir brauchen eine in der Gesellschaft konsensfähige Landwirtschaft“. Notwendige Anpassungen in der Produktion, wie weitere Ertragssteigerungen, und im Konsumverhalten, wie die Reduzierung des Fleischverbrauches, seien zwar nicht „über Nacht“ zu realisieren. Vielmehr sei es nötig, verschiedene erforderliche Maßnahmen weltweit konsequent anzugehen. Dann könne es gelingen, die rund 815 Millionen chronisch hungernden und in Armut lebenden Menschen zukünftig ausreichend mit Nahrung und lebensnotwendigen Mineralstoffen zu versorgen, verbreitet der Göttinger Ökonom Zuversicht.
Herausforderungen bis 2050
Lösungen für die Ressourcenknappheit, das „steigende Problem“ des Klimawandels und die weltweite Nachfrageentwicklung nach Lebensmitteln erwähnt Qaim als wichtige Herausforderungen in den nächsten Jahrzehnten bis 2050. Damit das gelingt, müssten die Agrarforschung weltweit verstärkt und neue, nachhaltige Technologien entwickelt werden.
Nachhaltige Produktion bedeutet dabei laut Qaim nicht die Maximierung der Intensität. Nachhaltig produzieren bedeute vielmehr, die Produktivität in Bezug auf alle knappen Ressourcen und Umweltgüter zu maximieren. Eine Herausforderung dabei sei die „intelligente Kombination“ zwischen Agrarproduktion, Züchtung und Agrartechnik.
Gentechnik mit großem Potenzial - aber kein Allheilmittel
Die Gentechnik kommt Qaim in der öffentlichen Debatte in Deutschland insgesamt zu schlecht weg. Sie sei weltweit eine besonders nachhaltige Option, die Erträge zu steigern. „Gentechnisch veränderte Organismen (GVO) haben ein großes Potenzial, zu umweltfreundlichen Produktionssteigerungen beizutragen“, erläutert er. In Europa und besonders in Deutschland spielt die grüne Gentechnik bisher keine Rolle. Weltweit werden jedoch genveränderte Organismen auf rund 190 Millionen Hektar Fläche angebaut.
Der GVO-Anbau bewirkt im Durchschnitt weltweit nach Auswertung vorliegender Studien Folgendes: Er
- steigert den Ertrag um 21,6 Prozent,
- reduziert den chemischen Pflanzenschutz um 36,9 Prozent und
- verbessert den Gewinn für die Bauern um 68,2 Prozent.
„Aber die Gentechnik ist kein Allheilmittel!“, betont der Göttinger Agrarökonom.
Nachhaltigkeit bedarf Änderungen im Konsum
Nachhaltige Agrarproduktion „erfordert auch Anpassungen im Konsum“, unterstreicht Qaim. Ein Ansatzpunkt bei der Nachfrage ist die Verringerung des Fleischkonsums. Eine solche Anpassung allein reicht allerdings nicht aus, um die Welternährung zu sichern.
Würde der Fleischkonsum halbiert, so ginge rechnerisch die Zahl der Hungernden in der Welt von 815 Millionen
- in Deutschland auf 811 Millionen Menschen (-0,5 Prozent) zurück,
- in der EU auf noch 791 Millionen (-3 Prozent) und
- in der OECD auf noch 758 Millionen Hungernde (- 7 Prozent).
Allerdings kann das Konsumentenverhalten nicht politisch verordnet werden. Deshalb ist die Änderung kein schneller Prozess, gibt Qaim zu bedenken. Zudem leben über 85 Prozent der Menschen in Entwicklungsländern. Dort wird auf absehbare Zeit die Erhöhung des Konsums tierischer Erzeugnisse prognostiziert, was die Versorgung mit wichtigen Mineralstoffen verbessern kann.
Weltweiter Handel wichtig
Zur Verbesserung der Welternährung sind Anpassungen im Konsum und in der Produktion notwendig. In der Produktion „brauchen wir mehr Produktivität“, erklärt Qaim. Um die weltweit unterschiedlichen Wachstums- und Standortbedingungen bei einzelnen Agrarprodukten auszugleichen, hält der Ökonom weltweiten Handel für wichtig.
Die Welternährung stärker in den Fokus rücken
In der deutschen Öffentlichkeit würde die Welternährung überwiegend als Verteilungs- und weniger als Produktionsproblem angesehen. Zur Lösung stehe die Landwirtschaft nicht im Blick.
Hinsichtlich der Maßnahmen zur Verbesserung der Welternährung wird laut Umfragen in Deutschland der Handel als gut bezeichnet, wenn er „fair“ ist. In der Öffentlichkeit werden extensive Systeme als Lösungsansatz in der weltweiten Landwirtschaft bevorzugt. Der Umweltschutz nimmt in der deutschen Bevölkerung eine deutlich höhere Priorität als die Sicherung der Welternährung ein.
Zukünftig gelte es, weiterhin auf umweltschonende und nachhaltige Produktion in der Landwirtschaft zu setzen, jedoch die Bedeutung einer sicheren Welternährung viel stärker als bisher in den Fokus der Öffentlichkeit zu bringen, meint Qaim.
Arbeit an neuen Versicherungslösungen
Vor dem Vortrag Qaims hatte Mugele die Schwerpunkte 2017 beleuchtet und Position zu aktuellen Fragen bezogen.
Für die Frostbeihilfe, um die schlimmsten Ertragsausfälle in Obst und Wein abzumildern, spricht der Vorsitzende des Bauernverbandes Schwäbisch Hall-Hohenlohe-Rems dem Ministerium und dem Parlament den Dank des Berufsstandes aus. Politik und Verband würden daran arbeiten, Versicherungslösungen gegen Frost zu bezahlbaren Prämien zu entwickeln.
„Dazu braucht es öffentliche Unterstützung, weil die notwendigen Prämiensätze die Möglichkeiten der Betriebe übersteigen würden“, erklärt Mugele. Deshalb würden wichtige Wettbewerber unter den EU-Staaten ihren Betrieben bis 80 Prozent Beihilfe zu den Versicherungsprämien gewähren.
Gegen Schweinepest vorsorgen
Die Branche mache sich „ernsthaft und sorgfältig“ bezüglich der Afrikanischen Schweinepest (ASP) kundig, lobt Mugele. Die Veterinärverwaltungen würden Notfallpläne entwickeln und Verhaltensregeln aufstellen.
„Wir Schweinehalter sind aufgefordert, dafür zu sorgen, dass eine Einschleppung in unsere Bestände vermieden wird. Unser Appell nach innen: Stiefel und Kleidung, Fahrzeuge und Gerätschaften können Schwachstellen sein, deshalb brauchen wir Schutzkleidung, Reinigung und Desinfektion. Zudem müssen Futter- und Strohlager gegen Wildschweine abgeschirmt sein. Speziell unsere Saisonarbeitskräfte aus osteuropäischen Staaten sollten keine rohen Schweinefleischerzeugnisse mitbringen oder gar Essensreste wegwerfen“, appelliert Mugele (vergleiche BWagrar 7/2018, Seite 12; www.bwagrar.de, Webcode 5664097).
Für fundierte Erhebungen bei Insekten
„Insekten haben wichtige Funktionen in unseren Lebensräumen, nicht nur zur Bestäubung von Blüten“, betont der LBV-Vizepräsident. „Deshalb fordern wir, fundierte und detaillierte Erhebungen vorzunehmen und die Ursachen für den Rückgang von verschiedenen Arten zu erforschen“, will der Berufsstand Klarheit haben.
Die Ursachen könnten jedenfalls in der Landwirtschaft allein nicht liegen, verweist Mugele auf die teils außergewöhnlich milden Winter in den vergangenen Jahren und den möglichen Einfluss des Fahrzeugverkehrs.
Direktzahlungen sollen bleiben
„Die Direktzahlungen stellen eine wichtige Einkommenskomponente für unsere Familien dar. Deshalb stellen wir uns als Bauernverband bei dem Thema Umverteilung auf die Hinterbeine und wehren uns massiv“, unterstreicht der LBV-Vizepräsident.
„Es ist einfach unseriös, wenn man einerseits kleinere und mittlere Betriebe als Idealkonstellation propagiert, gleichzeitig dann die Grundlagen, auf denen so ein Betrieb überhaupt erst eine Chance hat, lapidar entziehen will.“
Mugele redet Klartext: „Im Berliner Koalitionsvertrag steht, dass die finanzielle Ausstattung im bisherigen Volumen erhalten bleiben soll. Darauf bauen wir! Klare Ansage!“
Gegen Schuldzuweisungen
Gegen allgemeine Schuldzuweisungen wendet sich Mugele beim Dauerthema „Befinden unserer Tiere“ in den Medien.
Ob eine Haltungskennzeichnung auf Fleisch und Wurstwaren etwas bringt, hält der LBV-Vizepräsident für fraglich, „weil die Teilstücke der einzelnen Schlachttiere in die unterschiedlichsten Wege gehen.“
Die Initiative Tierwohl, an welcher der Bauernverband mitwirkt, sei „bis dato die einzige Initiative mit nennenswerter Marktdurchdringung, weil sie nicht unterlaufen werden kann, indem man im Supermarkt-Regal auf andere Produkte ausweicht“, erklärt Mugele.
Nutztierstrategie mit Charme
Die nationale Nutztierstrategie, für die Prof. Dr. Folkhard Isermeyer vom Thünen-Institut plädiert, „hat Charme“, bekennt Mugele. Nach dieser Strategie gäbe es weiterhin einen gesetzlichen Mindeststandard. Dieser müsse jedoch in allen EU-Staaten gleich sein, fordert der Vorsitzende des Bauernverbandes Schwäbisch Hall-Hohenlohe-Rems. Weitergehende Kriterien und Standards würden neben den Vergütungen der Initiative Tierwohl dem einzelnen Betrieb individuell nach seinen Leistungen vom Bund vergütet, erklärt Mugele.
Hofschilder übergeben
Vorsitzender und LBV-Vizepräsident Klaus Mugele, Geschäftsführer Helmut Bleher und Projektleiterin Andrea Bleher übergaben auf dem Bauerntag im Alfred-Kärcher-Auditorium in Winnenden (Rems-Murr-Kreis) am 16. Februar 2018 Hofschilder an neue bei „Lernort Bauernhof“ engagierte Betriebe.
Andrea Bleher lobt die Initiative als „im besten Sinne Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit“. Durch das Engagement der Bauernfamilien werde Einblick in die Arbeit auf den Höfen ermöglicht und dadurch Wissen vermittelt, beispielsweise, wie gut es den Nutztieren tatsächlich geht. Bleher begrüßt den von Staatssekretärin Friedlinde Gurr-Hirsch angekündigten Runden Tisch zur „Landwirtschaft macht Schule“.
Engagiert für Lernort Bauernhof
Hofschilder erhielten:
- Sissy und Roman Beck, Fichtenau: Milchkühe, Acker, Grünland. Hofführungen und Hofbesuche mit eigenem Tun, Tiere versorgen, Rund um Kuh und Milch, Stall- und Feldbegehungen, Bodenkunde, Futtermittelerkundung, Küchenzeile zum Buttern.
- Frank und Katja Löffelhardt, Spiegelberg-Jux: Schweine, Galloways, Schwarzerde, Grünland, Acker. Fleisch, Direktvermarktung, Kartoffeln, Erde, Bioland, Fleisch ohne Biosiegel.
- Nadine und Jochen Bauer, Forchtenberg-Sindringen: Highland-Rinder-Weidehaltung, Geflügel Freiland, Schweine, Ziegen. Direktvermarktung, Fleisch, synthetische Düngemittel.
- Daniela und Peter Lutz, Giebehöfe, Niedernhall: Milchvieh, Grünland, Acker. Hofführungen, Stall- und Feldbegehungen, Feldarbeiten, Tiere versorgen, Bauernhofolympiade, Aussäen-Pflegen-Ernten, Rund um die Kuh, Thema Getreide.
- Simone und Bernd Reuther, Marlach, Schöntal: Milchviehbetrieb, Grünland, Ackerland, Biogas, Hofmolkerei. Tiere versorgen, Stall-Feldbegehungen, Bauernolympiade, Bioenergie, Berufsbild und Arbeitsplatzerkundung.
Jenner präsentiert Kärcher
Der Vorsitzende der Geschäftsführung der Firmagruppe Kärcher, Hartmut Jenner, stellte den "Weltmarktführer" für Reinigungstechnik vor. Kärcher hat eine breite Angebotspalette auch für die Landwirtschaft.
Geschäftsführer Helmut Bleher berichtete aus der Arbeit des Bauernverbandes Schwäbisch Hall-Hohenlohe-Rems.
Dank zum Schluss
In seinem Schlusswort dankte Mugeles Vize Andreas Schunter unter anderen der Firma Kärcher, die mit dem Alfred-Kärcher-Auditorium ein passendes, modernes Ambiente für den Bauerntag bot. Ebenso dem Ensemble des Musikvereins Unterweissach und dem gesamten Team des Bauernverbandes, das den Bauerntag erst möglich gemacht hatte.
Begonnen hatte die Veranstaltung mit einem Imbiss im Foyer des Alfred-Kärcher-Auditoriums. Nachmittags wurde den Gästen Kaffee und Kuchen kredenzt.
Autor: hk