Kreisbauerntag in Mühlacker
Habeck sieht Chancen für Landwirte bei Systemwandel
Mühlacker (Enzkreis), 8. Februar 2019
Kreisbauerntag des Bauernverbandes Enzkreis
mit Dr. Robert Habeck, Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen
Perspektiven der deutschen Landwirtschaft bis 2030
Habeck für mehr Extensivierung, Transparenz und bessere Preise
Robert Habeck betritt die Bühne. Löst das Mikrofon aus der Halterung. Will sich frei bewegen. Und frei sprechen. Ulrich Hauser schiebt das Pult etwas ins Dunkel der Bühne. „So schnell falle ich nicht“, dankt der Bundesvorsitzende der Grünen auf seine Art dem Kreisvorsitzenden beim Kreisbauerntag des Bauernverbandes Enzkreis am Freitag, 8. Februar 2018, im Uhlandbau in Mühlacker. Und legt los.
Emotionale Auslöser
Kühe grasen auf der Weide. Fast auf jeder Packung, unabhängig davon, welche Milch darin steckt. Diese Emotionalität im Bild wird zum Auslöser für das Erstaunen in der Realität. „Das ist ja Massentierhaltung“, ruft so der Verbraucher. Deshalb seien Transparenz und Miteinander-Reden so wichtig, betont Habeck.
Nach dem Krieg wurde von der Landwirtschaft erwartet, die Menschen satt zu machen. So ist sie zum Garanten für unser Wohlstandsland geworden. Habeck skizziert einige Tendenzen in der Landwirtschaft.
Tendenzen in der Landwirtschaft
- Die Produktivität steigt, der Strukturwandel nimmt zu.
- Die Konkurrenz um Fläche verschärft sich. Der Flächenverbrauch soll von rund 80 auf 30 Hektar je Tag in Deutschland reduziert werden.
- Für Lebensmittel wird immer weniger ausgegeben, bezogen auf das verfügbare Familieneinkommen. Landwirtschaftliche Erzeugnisse sind buchstäblich infolge des zunehmenden Wohlstandes immer weniger wert geworden. Zugleich nimmt die Wegwerfmentalität zu.
- Das Klima wandelt sich, die Ertragsschwankungen wachsen.
- Land-Grabbing breitet sich aus. Nicht-Landwirte investieren in landwirtschaftliche Nutzflächen. Land ist immer öfters nicht mehr in Bauernhand.
Politik beschleunigt Strukturwandel
Der frühere Umwelt- und Landwirtschaftsminister Schleswig-Holsteins zieht das Fazit: Diese Tendenzen verstärken sich. Die Agrarpolitik beschleunigt den Strukturwandel. Der Kapitalbedarf für neue Technik wächst. Die vertikale Integration entlang der Produktionskette nimmt zu. Die Abhängigkeit von vor- und nachgelagerten Unternehmen steigt.
Andere Politik, neue Perspektive
Die Landwirtschaft braucht laut Habeck eine andere Politik, um ihr neue Perspektiven zu eröffnen und das „Wachsen oder Weichen“ zu brechen. Im Kern gehe es um die Frage: „Wie können wir Extensivierung erreichen?“
"Die Verbraucher erhalten die Produkte,
die sie wollen,
die Landwirte das Geld,
das sie verdienen.“
Der Vorsitzende der Bundes-Grünen formuliert dazu Ziele und Maßnahmen:
- Vernünftige Preise auf den Betrieben sind das Ziel.
- Eine klare, deutliche und verständliche Kennzeichnung der Lebensmittel sind notwendig.
- Der ökologische Landbau soll ausgedehnt werden.
- Die Resilienz, die Widerstandskraft gegen den Klimawandel soll steigen.
- Die Landwirtschaft soll Mehrleistungen bezahlt bekommen.
Handeln statt Schuld zuweisen
Mit Schuldzuweisungen „kommen wir nicht weiter“, meint Habeck. Die Politik sei dazu da, „die Dinge zu regeln“. In den vergangenen 15 Jahren habe das Bundeslandwirtschaftsministerium nicht die entsprechende Politik gemacht. Er sei für Folgendes: „Die Verbraucher erhalten die Produkte, die sie wollen, die Landwirte das Geld, das sie verdienen.“
Situation nach dem Trockenjahr 2018
„Im Vergleich zu Nord- und Ostdeutschland sind wir einigermaßen glimpflich davongekommen, was die Erträge bei Getreide und Futter für die Tiere betrifft“, kommentiert Ulrich Hauser die Situation Anfang 2019 nach dem Trockenjahr 2018.
"Finger weg von hochwertigen Flächen, sei es für Siedlungs- oder Ausgleichsmaßnahmen."
Finger weg von hochwertigen Flächen
Der Vorsitzende des Bauernverbandes Enzkreis thematisiert den Flächenverbrauch und ruft den Bürgermeistern und Mitgliedern der Verbandsversammlung des Regionalverbandes die Stichworte „Vorrangflächen und Vorbehaltsflächen“ zu. Die guten, tiefgründigen Böden des Kreises seien für stabile Erträge notwendig und stellten damit eine verlässliche Grundlage für die Nahrungsmittelproduktion dar. Hausers Schlussfolgerung: „Das heißt Finger weg von hochwertigen Flächen, sei es für Siedlungs- oder Ausgleichsmaßnahmen.
Um die vielen ungenutzten Wohnungen in Deutschland einer Nutzung zuzuführen, müssten verstärkt Anreize geschaffen werden, bevor neue Siedlungsflächen ausgewiesen werden. Als Beispiele nennt Hauser
- die Übernahme des Ausfallrisikos der Miete durch die Kommunen sowie
- Änderungen beim Mietrecht, um das Vermieten wieder attraktiver zu machen.
Bezahlbare Versicherungen gegen Dürre notwendig
Nach einer Auswertung des Gesamtverbandes der deutschen Versicherungswirtschaft beliefen sich 1990 bis 2013 die Ernteschäden durch Wetterextreme durchschnittlich auf 511 Millionen Euro jährlich. Darunter entfallen 54 Prozent auf Ernteausfälle durch Trockenheit. In den Extremjahren 1992 und 2003 betrugen die ermittelten Trockenschäden annähernd 1,5 bis 2 Milliarden Euro. Diese Summe sei 2018 noch übertroffen worden, skizziert Hauser die Notwendigkeit von bezahlbaren Versicherungslösungen für Trockenschäden.
- Für die politischen Entscheidungsträger gehe es dabei um die Frage von Zuschüssen und niedrigen Steuersätzen.
- Für die Anbieter und Nachfrager solcher Lösungen sei die Frage der Prämienhöhe und Bewertung der Schäden zu lösen.
Landwirtschaft ohne Treibhausgasemissionen nicht möglich
Nach dem Pariser Klimaschutzabkommen soll die deutsche Landwirtschaft die Treibhausgasemissionen bezogen auf 1990 um rund 30 Prozent reduzieren. Wie lasse sich dieses Ziel vor dem Hintergrund erreichen, dass pflanzliche und tierische Produktion ohne Treibhausgasemissionen nicht möglich seien, fragt sich Hauser. Er erwähnt:
- Reduzierung der Stickstoffüberschüsse.
- Emissionsärmere Ausbringung von Wirtschaftsdünger.
- Erhöhung der Humusgehalte der Böden.
- Effizientere Produktion durch Ertrags- und Leistungssteigerungen.
- Extensivierung auf der Fläche, verbunden mit sinkenden Erträgen bei gleichzeitig steigendem Nahrungsmittelbedarf weltweit?
2018 erreichte der Flächenertrag im Biolandbau ca. 30 dt/ha, im konventionellen Anbau 68 dt/ha laut der Agrarmarkt-Informations-Gesellschaft mbH (AMI). - Abbau der Viehbestände mit Verlagerung in andere Regionen bei gleichzeitig wachsendem Fleischkonsum weltweit. Das helfe der nationalen Klimabilanz, aber nicht der globalen.
Deutschland hat aktuell einen Importüberschuss bei landwirtschaftlichen Erzeugnisse und Nahrungsmitteln.
Rückgang der Tierbestände aus ökonomischen Gründen
Unabhängig von der Klimadebatte gingen mit steigenden Ansprüchen und Anforderungen an die tierhaltenden Betriebe bei gleichzeitig wirtschaftlich unbefriedigenden Ergebnissen die Tierbestände aus ökonomischen Gründen zurück, gibt der Kreisvorsitzende zu bedenken.
In den letzten Jahren führten vor allem bei den Sauen haltenden Betrieben zusätzliche Auflagen, die unsicheren Rahmenbedingungen hinsichtlich zukünftiger Haltungsformen und schlechte Erlöse zu einem deutlichen Bestandsabbau und Betriebszweigaufgaben. In den vergangenen zehn Jahren hätten 55 Prozent der Ferkel erzeugenden Betriebe in Baden Württemberg diesen Betriebszweig aufgegeben.
"Die Umsetzung höherer Standards kann nur gelingen, wenn die Konsumenten ihren Wünschen auch Taten folgen lassen."
Warnung vor Trugschluss beim Einkauf
Laut einer vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) in Auftrag gegebenen Untersuchung wollen 80 Prozent der Verbraucher mehr Inforationen zu den Haltungsformen haben. Aber daraus abzuleiten, dass ein ebenso großer Anteil bei der tatsächlichen Kaufentscheidung die höheren Standards wählt, „ist immer wieder ein Trugschluss“, warnt Hauser.
Den Wünschen auch Taten folgen lassen
Nur wenn der zusätzliche finanzielle und zeitliche Aufwand der Landwirte an der Ladentheke vergütet werde, ließen sich nachhaltige Veränderungen erreichen.Die wirtschaftlich sichere und damit nachhaltige Umsetzung höherer Standards würde nur gelingen, wenn entweder aktiver Außenschutz betrieben werde oder über Vertragsproduktion, „und wenn die Konsumenten ihren Wünschen auch Taten folgen lassen“, betont der Kreisvorsitzende.
Autor: hk