Sofortige Verbesserungen gefordert
Mindestlohn lässt das Fass überlaufen
„Wir brauchen bis Ostern Erleichterungen bei den Dokumentationspflichten zum Mindestlohn.“ Das forderte Joachim Rukwied, Präsident des Landes- (LBV) und Deutschen Bauernverbandes (DBV) bei der Großkundgebung süddeutscher Sonderkulturbetriebe am Montag in Meckenbeuren (Bodenseekreis). Mehr als 1500 Landwirte mit rund 300 Traktoren versammelten sich dort in und um die Humpishalle in Brochenzell. Sie machten ihrem Unmut über die überbordende Bürokratie Luft und gaben ihrem Präsidenten nach dessen kämpferischen Rede Standing Ovations.
Wenn es so weitergeht, haben wir keine Zukunft. Wir werden abgewürgt durch Gesetze, den Markt und den Lebensmitteleinzelhandel. Es ist jetzt allerhöchste Zeit, dass die Politik reagiert!“ Gleich zu Beginn bringt Rukwied unter großem Applaus auf den Punkt, was die mehr als 1500 Landwirtinnen und Landwirte bedrückt. Es ist keineswegs nur das Mindestlohngesetz, welches ihnen die Stimmung vermiest. Die zusätzliche Bürokratie bei der Beschäftigung von Saisonarbeitskräften hat das Fass jedoch zum Überlaufen gebracht. Denn auf den Lohn entfällt der Löwenanteil der Kosten. Es sind dazu die ständig zunehmenden Belastungen und Vorschriften wie bei der Dünge-Verordnung, in der Pflanzenschutz-Gesetzgebung und beim Grünland-Umbruch, welche das Fass des Unmuts gefüllt haben. Hinzu kommt die unbefriedigende Einkommenssituation gerade bei Sonderkulturen.
Der Präsident spricht Klartext, auch beim Grünland-Umbruchverbot: „Wenn die Sonderkulturbetriebe zukunftsfähig sein sollen, muss es für sie möglich sein, Grünland in Obstflächen umzuwandeln“, fordert er.
Politik soll sich raushalten
Das Russland-Embargo habe die wirtschaftliche Situation „massiv verschärft“. Zwar steht an erster Stelle die Friedenssicherung. Daran lässt Rukwied keinen Zweifel. Doch weil das Embargo wirtschaftlich die Landwirte massiv trifft und weil es politisch verursacht ist, fordert der DBV-Präsident politische Unterstützung bei der Lösung ein.
Mit dem Mindestlohngesetz befürchten die Sonderkulturbetriebe, dass ihnen vollends die Luft ausgeht. So erntet Rukwied großen Applaus, als er fordert: „Die Politik soll sich aus Tarifangelegenheiten raushalten. Das ist Sache der Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Die Wirtschaft kann das selbst am besten regeln.“
Kostennachteile zur Konkurrenz
Bei den Landwirten verhält es sich ähnlich wie im Bäckerhandwerk, das durchaus anständige Löhne und auch den Mindestlohn zahlen wolle, wie ein Bäckermeister jüngst versichert, „wenn da nur nicht die Großbäckereien wären!“ Diese Großbetriebe lassen die Teigrohlinge beispielsweise in Ungarn zu Geringstlöhnen herstellen.
Ähnlich geht es den Bauern, die mit Obst aus Polen konkurrieren, wo Saisonkräfte einen Mindestlohn von rund 2,40 Euro je Stunde erhalten. „Da frage ich mich schon, ob das die zuständige Bundesministerin nicht weiß oder nicht wissen will“, bekennt Rukwied.
Korrekturen kurzfristig notwendig
Der Bauernverband fordert insbesondere:
Kurzfristig Erleichterungen und Korrekturen bei Aufzeichnungs- und Dokumentationspflichten zum Mindestlohn realisieren.
Langfristig das gesamte Mindestlohngesetz samt davon berührten Gesetzen nochmals neu angehen.
Die Landwirtschaft erst gar nicht in das Arbeitnehmerentsendegesetz aufnehmen.
Das Vorhaben, mitarbeitende Familienangehörige Arbeitsstunden dokumentieren zu lassen – Rukwied: „Unsinn an sich“ – sofort vom Tisch nehmen.
Der Mindestlohn soll bei kurzfristiger Beschäftigung weiterhin erst am Ende des Beschäftigungsverhältnisses fällig werden.
450-Euro-Jobs von allen Dokumentationspflichten ausnehmen.
Für kurzfristig Beschäftigte wie Saisonarbeitskräfte die Dokumentationspflicht der Arbeitszeit „auf ein praktikables Minimum“ zurückführen.
„Landwirtschaftliche Unternehmer sind dazu da, hervorragende Lebensmittel zu erzeugen – und nicht, um am Schreibtisch Stunden mit unnötigen Dokumentationsarbeiten zu verbringen“, betont Rukwied unter großem Applaus. Ein Gesetz, welches vorschreibe, in der Ernte nach zehn Stunden mit der Arbeit aufzuhören, sei „moralisch verwerflich“. Die Landwirte könnten doch reife Früchte nicht einfach hängen oder liegen lassen. Dass für solch ein schlechtes Gesetz Steuergelder für großflächige Anzeigen verschwendet würden, gehöre abgeschafft.
„Wir brauchen bis Ostern vernünftige und praxistaugliche Lösungen, damit wir als Familienbetriebe eine Zukunft haben“, zieht Rukwied das Fazit seiner kämpferischen Rede. Nun werde sich zeigen, ob die Politik tatsächlich Familienbetriebe wolle, wie sie immer betone: „An den Taten werden wir sie messen, nicht an den Worten!“, kündigt er an.
Reglementierungen abbauen
Rukwied fordert noch mehr. Zur Dünge-Verordnung: „Es muss ein Ende haben, die Dünge-Schraube weiter zuzuziehen. Wir brauchen praktikable Lösungen.“ Zur Pflanzenschutzmittel-Gesetzgebung: „Wir brauchen zugelassene Wirkstoffe, sonst können wir keine hochwertigen Produkte mehr erzeugen.“ Starke Preisschwankungen an den Märkten haben unmittelbaren Einfluss auf die Einkommen der Landwirte. „Deshalb brauchen wir die Einführung einer steuerlichen Risikoausgleichsrücklage.“
Im Lebensmitteleinzelhandel herrscht massiver Wettbewerb, was nicht erst seit der Sektoruntersuchung des Bundeskartellamtes bekannt sei. Deshalb erwartet Rukwied von der Politik, dass sie an den Lebensmitteleinzelhandel herangeht, „damit sich der Mindestlohn in höheren Preisen niederschlägt. Jetzt, wo wir mit dem Rücken zur Wand stehen, muss die Politik Farbe bekennen!“
Massive Kritik an der CDU-Zustimmung
Die massive Kritik von Rukwied und den Kundgebungsteilnehmern trifft an diesem Vormittag stellvertretend für die Politiker, die das Mindestlohngesetz beschlossen haben, den CDU-Bundestagsabgeordneten des Wahlkreises Bodensee, Lothar Rübsamen. Sein Hinweis, für eine Koalition mit der SPD habe man den Mindestlohn schlucken müssen, die bürokratischen Auswüchse wolle man korrigieren, stellt die Teilnehmer nicht zufrieden. „Die CDU muss hier das Kreuz durchdrücken“, fordert Präsident Rukwied, „noch vor Ostern Erleichterungen bei den Aufzeichnungspflichten durchsetzen und langfristig das gesamte Gesetz nochmals aufgreifen“.
Die überwältigende Teilnehmerzahl beweist auch für den Vorsitzenden vom veranstaltenden Kreisbauernverbandes Tettnang, Dieter Mainberger, wie sehr sich die Sonderkulturbetriebe durch Preisverfall und bürokratische Daumenschrauben in die Enge getrieben fühlen. Das Fass zum Überlaufen bringt das Mindestlohngesetz. Nicht allein weil mit den Lohnkosten die Produktionskosten in nicht mehr konkurrenzfähige Höhen steigen. Darüber hinaus führen völlig unnötige und praxisfremde Aufzeichnungspflichten zu Wettbewerbsverzerrungen insbesondere mit den osteuropäischen Erzeugern.
Berufsstand hat Lösungsvorschläge
„So kann´s nicht weitergehen“, appellierte Mainberger und forderte die Politiker zum Dialog mit dem Berufsstand über unverzügliche Korrekturen auf. Bundesarbeitsministerin Nahles müsse die berechtigten Sorgen der landwirtschaftlichen Betriebe endlich ernst nehmen. Ähnlich äußerte sich der Vizepräsident des Badischen Bauernverbandes, Franz Käppeler.
In einer Talkrunde, moderiert von Maschinenring-Geschäftsführer Hubert Hengge, verdeutlichen junge Betriebsleiter ihre Probleme mit dem Mindestlohngesetz. Philip Stotz aus Ettenkirch, Alexander Martin aus Eriskirch, Dominik Ell aus Oberkirch und Matthias Günthör aus Langenargen sind engagierte Sonderkultur-Landwirte. Ihre Motivation leidet aber gewaltig, wenn die finanziellen Mehrbelastungen, nicht zuletzt durch das Mindestlohngesetz, nicht mehr über die Produkterlöse zu erwirtschaften sind. Sie haben durchaus praktikable Lösungsvorschläge. „Es kann aber nicht sein, dass ich mehr Geld in der Tasche habe, wenn ich aufs Sofa liege, anstatt einen landwirtschaftlichen Betrieb zu führen; die Abhängigkeit von der Politik schafft ein mieses Gefühl“, so der Tenor.
Autor: hk, ebe